Wer Liebe verspricht
nicht damit abfinden, und deshalb konnte sie sich auch noch nicht dagegen auflehnen. Und so begann sie, innerlich zu zerbrechen, sich aufzulösen wie die Statuen der Göttin – etwas Geliebtes wurde in die Fluten versenkt und einem fernen, fremden Meer überantwortet. Sie konnte nicht mehr denken. Nur die eine unbeantwortete Frage tönte wieder und wieder in ihr.
Warum?
*
Sie glaubte, tot zu sein oder bald zu sterben.
Ihre Kehle war ausgedörrt und trocken. Sie konnte die Augen nicht öffnen, und als es ihr gelang, blendete sie grelles Licht. Ein Verrückter hämmerte Nägel in ihren Kopf, und überall war Nebel … undurchdringlicher Nebel. Aus diesem Nebel drangen Stimmen zu ihr – sie hörte verschwommen ihre Tante, Estelle und Dr.Humphries. Man zwang sie, bittere Flüssigkeit zu trinken, legte ihr eine kalte Kompresse auf die Stirn, und jemand befahl ihr zu schlafen.
Olivia schlief.
Im wiederkehrenden und entschwindenden Bewußtsein sah sie Bilder – Farben und Formen wie in einem Kaleidoskop, das unter dem Rhythmus von Trommeln zerbarst. Sie hatte entsetzliche Alpträume von Gräbern, eiternden Gliedern und scheußlich geschminkten Fratzen, von geschmückten Totenköpfen, von Krallen, die sich nach ihr ausstreckten. Olivia schrie und schlug um sich. Sie wollte das Böse vertreiben, das in der Luft lag und sie bedrängte. Und aus dem Nebel löste sich ein perlweißer, schimmernder Mantel der Sicherheit, der sich um sie legte. Sie überließ sich zufrieden seiner Umarmung, die so sanft und zart war wie Pashmina -Wolle, und genoß die Wärme und Zuversicht. Dann schlief sie wieder ein.
»Geht es dir besser, mein Kind?«
Als sie schließlich voll bei Bewußtsein war, begrüßte sie ein schöner Morgen mit den zarten weichen Strahlen der Herbstsonne. Sie sah über sich das besorgte Gesicht ihrer Tante. Das Fieber war gesunken. Olivia wollte sich aufsetzen, aber sie war zu schwach. Ihre Tante drückte sie sanft in das Kissen zurück und gab ihr in einer Schnabeltasse Milch zu trinken.
»Gott sei Dank! Dr.Humphries sagt, es war Wechselfieber in Verbindung mit einer schweren Erkältung.« Lady Bridget betupfte ihr die Lippen mit einer Serviette. »Aber das Fieber ist jetzt vorbei. Wir werden dich bald wieder auf den Beinen haben. Er sagt, du mußt jetzt viel trinken, hörst du, viel trinken.«
Olivia nickte, trank und fühlte sich schon etwas besser. Hinter der Tante sah sie Estelle, die ihrer Mutter die leere Tasse abnahm. Sie schien dem Blick ihrer Cousine auszuweichen. Ein Gedanke stieg in ihr auf, aber sie war zu schwach, um ihn zu fassen. Tonnenschwer senkte sich die Müdigkeit auf ihre Lider. Sie konnte die Augen nicht länger offenhalten. Die unsagbare Schwäche machte alle Gedanken unmöglich bis auf den einen.
Ich werde Jai Raventhorne nicht wiedersehen.
Sie schlief unruhig und lange. Als sie die Augen wieder aufschlug, brannte Licht im Zimmer, und sie hörte das Klirren von Glas. Die Aja räumte den Tisch an ihrem Bett auf. Sie mußte wieder trinken. Diesmal brachte ihr Sir Joshua ein Glas Zitronentee – eine angenehme Abwechslung nach den scharfen Eukalyptusdämpfen der Einreibemittel.
»Wie geht es, Kleines?« Er setzte sich auf den Bettrand.
»Danke, besser«, krächzte Olivia schwach. Sie lehnte sich gegen die dicken Kissen in ihrem Rücken.
»Wunderbar! Wunderbar! Humphries hat recht, diese neue Rinde aus Malaia scheint zu helfen. Man nennt sie Chinin – es wurde auch Zeit, daß sie endlich etwas gegen das scheußliche Wechselfieber gefunden haben.« Er tätschelte ihr die Hand. »Wir haben wirklich Angst um dich gehabt, mein Kind. Wie gut, daß du wieder etwas Farbe im Gesicht hast.« Sir Joshuas eigene Wangen hatten viel Farbe, als er liebevoll und zufrieden mit Olivia sprach. Er hob warnend den Zeigefinger. »Keine morgendlichen Ausritte mehr, Olivia. Du mußt erst wieder richtig zu Kräften kommen.« Fröhlich pfeifend verließ er das Krankenzimmer.
Nein – keine morgendlichen Ausritte mehr. Dazu gab es auch keinen Anlaß.
Am nächsten Tag erklärte Dr.Humphries, die Kranke sei wieder weit genug bei Kräften, um sie zu waschen und ihre Wäsche zu wechseln. Am nächsten Morgen durfte sie sogar schon eine Stunde wie eine ägyptische Mumie in Decken, Handschuhe und lange Wollstrümpfe verpackt in den Garten. Olivia staunte, daß ihr Körper im Gegensatz zu ihrem Kopf wieder so lebendig war. In gewisser Hinsicht bedauerte sie, daß das Fieber vorüber war, denn während es
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