Wer Liebe verspricht
so tief sitzen. Er mußte an die Oberfläche kommen, sich voll entfalten und dann gemeistert werden, damit die Wunde anfangen konnte zu verheilen. Heilen, dachte Olivia bitter, kann man nach einer Amputation jemals wieder ein ganzer Mensch sein?
Lady Bridget stöhnte zuerst leise und dann lauter. Sie warf den Kopf von einer Seite zur anderen; ihre Finger schlugen in die Luft; die Lippen formten und lallten Laute, während der betäubte Verstand um Klarheit kämpfte. Das aufgedunsene und schlaffe Gesicht schien einer Fremden zu gehören. Ihr gegenwärtiger Zustand war bemitleidenswert, aber ihre nächste Zukunft würde es noch mehr sein. Olivia beobachtete sie unbewegt und hoffte nur, die Krise werde kommen und vorübergehen.
Und als sie einsetzte, war Olivia darauf vorbereitet. Wie von einer unsichtbaren Feder gezogen, setzte sich Lady Bridget plötzlich kerzengerade auf und fing an zu schreien. Olivia packte sie an den Schultern und drückte sie in die Kissen zurück. »Ruhig, nur ruhig, ich bin ja da.«
Lady Bridget schüttelte mit unglaublicher Kraft die Hände ab, die sie festhielten, und schrie noch einmal. Dann jammerte sie: »Mein Baby, mein kleines Baby …!« Hysterisch schluchzend richtete sie sich wieder auf, wiegte den Oberkörper hin und her, schlug die Hände vor das Gesicht und begann, ein unverständliches tierisches Wimmern auszustoßen.
Olivia zwang sich, ruhig zu bleiben, und setzte sich. Der Ausbruch mußte kommen, selbst wenn er noch so entsetzlich war. Es mußte sein, denn nichts wäre brutaler gewesen, als ihr den berechtigten Kummer zu verwehren. Lady Bridget schrie wieder, und es klang wie der Schrei einer Wahnsinnigen. Olivia bekam eine Gänsehaut, und kalte Schauer liefen ihr über den Rücken, aber sie blieb sitzen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Ransome und Sir Joshua erschienen mit verstörten Gesichtern. Hinter ihnen drängten sich die Dienstboten.
»Gib sie mir wieder, Josh. Gib mir mein Kind wieder … hab Erbarmen, oh, hab Erbarmen …!« Lady Bridget streckte flehend die Arme nach ihrem Mann aus. Tränen strömten ihr aus den wirr blickenden Augen.
Sir Joshua blieb einen Augenblick wie erstarrt stehen. Dann ging er zum Bett, setzte sich und nahm ihre Hände. »Bridget …« Mehr konnte er nicht sagen.
Ransome schloß die Schlafzimmertür, trat hinkend ans Fenster und blieb stumm dort stehen. Lady Bridgets Flehen verwandelte sich in unzusammenhängendes Klagen. Sie fiel in die Kissen zurück und schlug wie rasend auf die Bettdecke. Es war kein schöner Anblick. Sir Joshua saß auf dem Bettrand und sah sie in gelähmtem Schweigen an. Er schien nicht ganz zu verstehen, was geschah. Ransome konnte den qualvollen Ausbruch nicht länger ertragen und wollte zum Bett gehen, aber Olivia hinderte ihn daran. »Nein, nicht, Mr.Ransome. Sie muß aus sich herauslassen, was herauskommen muß. Nur dann kann sie sich später damit abfinden.«
Ransome ließ die Hände sinken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht, feuchten und geröteten Augen nickte er nur und kehrte zum Fenster zurück. Lady Bridget wand und krümmte sich im Bett. Das krampfhafte Schluchzen klang inzwischen rauh und heiser. Olivia spürte heiße Tränen in den Augen, denen sie aber noch nicht freien Lauf lassen durfte. In dem Bemühen, sie zurückzuhalten, bohrten sich ihre spitzen Fingernägel in die Handflächen ihrer geballten Fäuste, und sie biß die Zähne zusammen. Olivia verlor die Beherrschung nicht. Sir Joshua blinzelte wie jemand, der zu träumen glaubt. Er schien nicht recht zu wissen, wer diese Frau im Bett war. Dann wollte er wieder nach ihrer Hand greifen. »Bridget …?«
Sie wich vor ihm zurück, als habe sie etwas gestochen. Sie riß die Laken an sich und schrie plötzlich hysterisch: »Rühr mich nicht an! Hast du mich verstanden? Wage es nicht, Josh! Rühr mich nie wieder an! Du, du ganz allein bist dafür verantwortlich. Du hast das alles heraufbeschworen … du hast mein Kind ins Verderben gestürzt, du und deine …«
»Sei still!« Sir Joshua richtete sich wutentbrannt auf und beugte sich drohend über sie. »Keine Anschuldigungen mehr, Bridget, kein Wort mehr !«
Ransome war erstarrt und hielt die Luft an. Heftig keuchend rang Lady Bridget nach Luft. Der Befehl hatte sie wie ein Peitschenhieb getroffen und ließ sie verstummen. Aber nicht lange. Sie wandte den Blick nicht von ihrem Mann ab, und in ihren Augen lag ebensoviel Haß wie in seinen. Ihre Verachtung konnte sich mit seiner Wut
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