Wer Liebe verspricht
ohne das geringste Interesse zu bekunden, mit einer Handbewegung ab. Olivia betrachtete ihn aufmerksam. Seine Augen waren alles andere als leer, sondern wirkten ungewöhnlich wach, ja sogar feurig. »Was hast du da versteckt, Onkel Josh? Darf ich es sehen?«
»Natürlich, wenn du unbedingt willst – obwohl es niemanden etwas angeht.« Abgesehen von seiner Gereiztheit zeigte er keine Reaktion auf ihre Bitte. Er zog das Tuch beiseite, und sie sah zwei amerikanische Colts. Sie gehörten zweifellos zu seiner teuren Waffensammlung, die in glänzend polierten Mahagonihalterungen im Billardzimmer an der Wand hing. Er hatte die Revolver offenbar geputzt, denn sie glänzten wie neu. Ohne sie weiter zu beachten, machte er sich wieder an die Arbeit. Olivia setzte sich und sah zu, wie seine Finger geschickt und geübt die Waffen bearbeiteten. Ja, er war heute völlig anders! Er saß zum Beispiel aufgerichtet und hatte die Schultern gestrafft. Die Augen musterten klar und ruhig die Colts. Seine Finger zitterten nicht wie üblich. Und seine Stimme hatte kräftig und herrisch geklungen, als er sie tadelte. Olivia mußte plötzlich schlucken und fragte vorsichtig: »Warum putzt du diese Waffen?«
»Aus dem Grund, aus dem man Waffen putzt – sie sollen schußbereit sein.«
»Warum sollen sie plötzlich schußbereit sein?«
»Weil ich schießen will.« Er legte den Colt, den er in der Hand hielt, auf die Schreibplatte und sah sie streng an. »Hast du noch mehr dumme Fragen, oder kann ich jetzt in Frieden meiner Arbeit nachgehen?«
Er wollte wieder nach dem Colt greifen, aber Olivia fiel ihm in den Arm. »Auf wen möchtest du damit schießen, Onkel Josh?« fragte sie ruhig, aber die Beklommenheit ließ die Stimme flach klingen.
Er lehnte sich zurück. Sie faßte seine Hand fester. »Sag es mir, Onkel Josh! Wen möchtest du mit diesen Waffen umbringen?«
Er beugte sich vor, löste einen ihrer Finger nach dem anderen von seiner Hand und machte sich wieder ans Putzen. »Ich will Jai Raventhorne umbringen.«
Olivia zweifelte nicht länger, daß er nun völlig den Verstand verloren hatte. »Aber Jai Raventhorne ist nicht in Kalkutta, Onkel Josh!« rief sie. »Das weißt du doch ganz genau.«
»Er wird zurückkommen. Bald.«
Ihr stockte der Atem. »Bald? Was meinst du mit bald ?« flüsterte sie.
»Wer erzählt dir solche Lügen? Sag es mir, wer ?« In ihrer Panik umklammerte sie seine Hände und hielt sie fest.
Er löste wieder langsam und bedächtig ihre Finger und arbeitete weiter. »Es sind keine Lügen. Man hat die Ganga westlich von Ceylon gesichtet. Sie fährt in Richtung Norden.«
*
Olivia kam zu Hause in ihrem Bett wieder zu Bewußtsein und sah Dr.Humphries, der sich mit ernstem Gesicht über sie beugte. Hinter ihm stand ängstlich Estelle, die sich sehr bemühte, so wenig aufzufallen wie möglich. Olivia stützte sich mühsam und benommen auf einen Ellbogen. »Was ist geschehen …?«
»Erinnern Sie sich nicht?« fragte Dr.Humphries. Olivia schüttelte den Kopf, legte sich wieder zurück und schloß die Augen. »Sie haben das Bewußtsein verloren, aber Sie waren klug genug, damit zu warten, bis Sie die eigene Schwelle erreicht hatten. Die Dienstboten haben mich geholt, und ich habe Ihre Cousine rufen lassen.« Er legte eine Hand unter ihren Kopf, hob ihn etwas hoch und gab ihr eine scheußlich schmeckende Flüssigkeit zu trinken. Olivia würgte. »Na, na, na! Keine Kinkerlitzchen, mein Kind! Trinken Sie das, und morgen sind Sie wieder in Ordnung.«
Die Erinnerung stellte sich plötzlich wieder ein, und Olivia drückte das Gesicht in das Kissen. »Mir geht es schon wieder gut. Mir fehlt nichts!«
»Nur ruhig Blut!« mahnte er sie fröhlich. »Ich habe ja nicht gesagt, daß Ihnen etwas fehlt. Ganz im Gegenteil.« Er schloß seine schwarze Tasche und strahlte. »Ich schicke Ihnen einen Saft, der bringt Ihren Kreislauf in Ordnung. Dreimal täglich vor den Mahlzeiten. Estelle wird dafür sorgen, daß Sie sich ausruhen und keine Dummheiten machen. Kann ich mich darauf verlassen, mein kleines, freches Gänschen?« Er zwickte Estelle freundlich in die Wange.
»Ich habe keine Zeit, mich auszuruhen«, murmelte Olivia erschöpft und hoffte, Estelle werde schnell wieder gehen. Sie wollte allein sein – nur allein sein! »Ich muß vor meiner Abreise noch tausend Dinge erledigen.«
»Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit.« Er redete, wie alle Ärzte mit ihren Patienten, als sei sie nur halb zurechnungsfähig, und
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