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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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auf, Estelle!« Olivia zitterte vor Zorn. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihre Cousine mit funkelnden Augen an.
    »Versuche nicht, noch mehr ans Licht zu zerren! Was du bereits ans Licht gezerrt hast, reicht für ein Leben.«
    Estelle richtete sich ebenso wütend auf und fragte herausfordernd:
    »Ist es nicht Zeit, daß jemand diese Dinge ans Licht zerrt? Ich bin es leid, hinter verschlossenen Türen über Dinge zu flüstern, die unter den Teppich gekehrt worden sind, über Dinge, die nicht ans Licht kommen dürfen, Dinge, die nicht erklärt und nicht verstanden werden. Wovor haben denn alle solche Angst? Wovor hast du denn Angst, Olivia? Vor dem Gerede der Leute? Vor den bissigen Bemerkungen und dem Skandal? Nun ja, zum Teufel damit, zum Teufel!«
    Sie atmete heftig, stemmte die Hände in die Hüften und verzog höhnisch die Lippen. »Ich habe dich von allen Menschen auf der Welt am meisten bewundert, Olivia, denn ich habe dich für fair, gerecht, liberal und unabhängig gehalten. Habe ich mich denn so getäuscht?«
    »Ja, du hast dich getäuscht! Ich bin nicht der Mensch, für den du mich gehalten hast – auch nicht der Mensch, für den ich mich gehalten habe. Bist du nun zufrieden? Jetzt mach mir bitte den Weg frei und laß mich gehen.«
    Estelle rührte sich nicht von der Stelle. Sie verzog das Gesicht noch mehr. »Findest du es nicht merkwürdig, Olivia, daß ich jetzt diejenige bin, die Mut hat? Also gut, ich liebe Jai Raventhorne – und mir ist es gleichgültig, wer es erfährt. Auch du hast ihn einmal gemocht und dich für ihn interessiert. Du hast ihn immer wieder entschuldigt und viele Zweifel zu seinen Gunsten geäußert. Jetzt willst du ihn, wie alle anderen, in Bausch und Bogen verurteilen? Oder könnte es sein«, sie sah Olivia plötzlich herausfordernd an, »daß dieser plötzliche Umschwung auf Eifersucht zurückzuführen ist, liebste Oli? Ich glaube mich zu erinnern …«
    Olivia wußte nicht, daß sie Estelle geohrfeigt hatte, bis sie den Schlag wie Donner hörte. In der plötzlichen Stille wich Estelle zur Wand zurück und hielt sich entsetzt und ungläubig die Wange. Sie waren beide so schockiert, daß sie einen Augenblick schwiegen. Olivia erholte sich als erste. Wütend auf sich selbst ging sie zu Estelle und küßte ihre Cousine kurz auf die Stirn. »Tut mir leid, das hätte ich nicht tun dürfen«, sagte sie leise, aber in ihrem Gesicht war nichts von Reue zu sehen.
    Schluchzend ging Estelle an ihr vorbei und sank auf das Bett. »Du hast dich verändert, Olivia«, flüsterte sie mit erstickter Stimme, »du hast dich so … schrecklich verändert.«
    »Verändert? Ich?« Olivia begann zu lachen. »Das bildest du dir nur ein, liebe Cousine. Ich habe mich überhaupt nicht verändert. Ich bin noch genauso wie damals, als du dich zu deinem … wie hast du es noch genannt? Ach ja, Abenteuer … entschlossen hast.«
    Lachend drehte sie sich um und lief die Treppe hinunter.
    *
    Unvermeidlich änderte sich mit Estelles Rückkehr vieles in Olivias Alltag. Ihre Pflichtbesuche im Haus Templewood waren sehr viel seltener nötig. Sie konnte Estelle nicht völlig aus dem Weg gehen, aber sie besuchte Sir Joshua geschickterweise nur dann, wenn ihre Cousine nicht im Haus war, und das kam oft vor. Wenn sie sich begegneten, achtete Olivia darauf, daß das Zusammentreffen kurz und freundlich verlief. Sie bedauerte zutiefst, ihre Selbstbeherrschung so weit verloren zu haben, daß sie ihre Cousine geschlagen hatte – allerdings nicht, weil sie Estelle bedauerte. Sie verdiente die Ohrfeige für diese unverschämte Unterstellung. Aber aufgrund ihrer angeborenen Ehrlichkeit begann Olivia allmählich, an ihren Motiven zu zweifeln, und die Selbstzweifel taten ihre Wirkung.
    Estelle erwähnte Jai Raventhorne ihr gegenüber nicht mehr.
    Am schlimmsten traf Olivia jedoch der Verzicht auf ihren geliebten kleinen Sohn. Amos fehlte ihr schrecklich. Sie sehnte sich danach, ihn in den Armen zu halten und zu liebkosen. Sie verzehrte sich nach seinem lustigen, ausdrucksvollen Geplapper. Sie träumte von seinem wunderbaren, strahlenden Lachen und von den täglichen Fortschritten, die sie mit größter Genauigkeit verfolgt hatte. Kinjal schrieb, daß Amos seinen ersten Zahn bekam, und Olivia war todunglücklich, denn gezwungenermaßen mußte sie dieses denkwürdige und einzigartige Ereignis versäumen! Kinjal berichtete, ihr Sohn könne bereits erstaunlich gut sitzen, und sie war sich ganz sicher, er

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