Wer Liebe verspricht
»Dann kann ich dich noch einmal so sehr abstoßen wie jetzt – und mit noch größerer Berechtigung!«
Er machte ihr ein Abschiedsgeschenk – er zuckte zusammen –, und Olivia jubelte. Es war bedeutungslos, aber welche Befriedigung!
»Dann … meinen Glückwunsch.« Er hatte sich schnell wieder gefaßt. »Noch einmal besten Dank für Ihre liebenswürdige Gastfreundschaft, Lady Birkhurst. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und eine sichere Reise zu Ihrem Vater nach Hawaii.«
Zum zweiten Mal machte Jai Raventhorne auf dem Absatz kehrt, um aus ihrem Leben zu verschwinden.
Es war für Olivia eine qualvolle und aufreibende Farce gewesen. Und es hatte sie viel Kraft gekostet. Ihre Kehle war so ausgedörrt, daß ihr das Schlucken wehtat. Ihre Knie waren weich und drohten, ihr den Dienst zu versagen. Sie wollte in eine dunkle Ecke fliehen, aber das wagte sie nicht. Noch immer richteten sich unzählige Augen auf sie. Neben der totalen Erschöpfung empfand sie jedoch Triumph, ein unbändiges Hochgefühl. Sie hatte die bittere Prüfung bestanden! Sie hatte den schlimmsten Alptraum durchlebt und das rettende Ufer mit wenigen Schrammen erreicht. Ihre Willenskraft hatte gesiegt, sie war nicht weich geworden! Jai Raventhorne hatte für immer die Fähigkeit verloren, sie zu verletzen. Aber ihr war es gelungen, daß er zusammenzuckte! Das war noch eine Entschädigung – wie klein auch immer – für das zerstörte Leben, für die demütigende Farce ihrer Ehe, für einen so schändlichen Betrug, den sie nie würde verzeihen können. Dieser kleine Sieg war besser als nichts.
Und er ahnte nichts von Amos! Alles andere zählte nicht, war gegenstandslos, nicht mehr als ein Mückenstich. Sie konnte morgen darüber nachdenken – oder auch nicht. Das gefürchtete Zwischenspiel hatte stattgefunden und war zu Ende. Sie mußte Jai Raventhorne nie wiedersehen.
Fröhlich und mit neuem Schwung erlaubte sich Olivia, wieder die charmante Gastgeberin zu spielen.
Das Kaminfeuer mußte gelöscht werden. Es wurde unangenehm heiß in den Sälen. Um den Zigarrenqualm zu vertreiben, gab sie Anweisung, daß die Punkahwallahs die großen Stoffächer unter den Decken schneller bewegten. Einige der Damen tupften sich mit Eaude-Cologne-benetzten Taschentüchern die Stirn, andere fächelten sich heftig mit ihren Fächern aus Elfenbein und Sandelholz das Gesicht. Die Musiker aßen inzwischen, und als Olivia die verlassene Tanzfläche noch einmal überquerte, entdeckte sie erstaunt den burgunderroten Frack. Raventhorne stand mit dem Rücken zu ihr aufrecht und regungslos neben Ransome. Sie wollte ihm nicht noch einmal begegnen und drehte sich um, als sie aus den Augenwinkeln etwas Seltsames sah. Plötzlich schwiegen auch alle anderen, und es wurde still im Raum. Das laute Lachen, die angeregten Gespräche im großen Salon verstummten plötzlich ohne ersichtlichen Grund. Eine spürbare, drückende Spannung hing wie eine dunkle Wolke über allen. Verwirrt eilte Olivia durch eine Tür und blickte forschend in den Saal – und ihr gefror langsam das Blut.
In der Tür am anderen Ende stand klar und deutlich Sir Joshua Templewood und neben ihm ihre Cousine. Durch den Saal hinweg, in dem niemand sich bewegte, trafen sich kurz ihre Blicke. In den Tiefen von Estelles babyblauen Augen lag Trotz, eine herausfordernde Naivität, die Olivia das Schlimmste befürchten ließ. Welche Spielchen sich ihre einfallsreiche Cousine für den Abend auch ausgedacht haben mochte, sie hatte offensichtlich noch nicht alle Trümpfe ausgespielt. Es sollten noch weitere folgen.
Sir Joshua trug einen Abendanzug, der ihm eine Nummer zu groß war, aber er wirkte darin so lässig elegant, wie man es in besseren Zeiten von ihm gewohnt gewesen war. Der große, kräftige Mann hatte früher fast alle überragt. Auch jetzt hatte er wieder die Schultern gestrafft, den Kopf hoch erhoben. Er war nur etwas grauer als noch vor dreizehn Monaten. Nichts war von der gebückten Haltung der letzten Zeit zu merken. Nur der zu weite Überzieher wies deutlich darauf hin, wie viel er abgenommen hatte. Die gewohnte Röte fehlte zwar, auch die Augen lagen tiefer in den Höhlen, aber die unverminderte Kraft seiner Persönlichkeit zog noch immer die Aufmerksamkeit aller auf sich und hielt sie mühelos. Er war wieder der alte, und für alle, die geglaubt hatten, er liege im Sterben, war dieser Anblick eine Offenbarung.
Sir Joshua nahm bedächtig den eleganten Seidenschal ab und reichte ihn mit
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