Wer Liebe verspricht
machte sich mit Laternen und Gewehren auf den Weg. Im tiefen Dschungel fand man in der Richtung, aus der der Schuß gekommen war, die Leiche. Sie lag auf dem Rücken, und das halbe Gesicht fehlte. Sir Joshua hatte nichts Schriftliches hinterlassen, um den Selbstmord zu erklären. Vielleicht hatte er mit seinem untrüglichen Scharfsinn erkannt, daß das im Grunde auch nicht nötig war.
John schrieb, am nächsten Morgen habe ein Schreiner im Dorf einen einfachen Holzsarg gezimmert. Ein Priester von der Missionsstation in Burdwan sei von den morgendlichen Pflichten abgehalten und überredet worden, das Begräbnis durchzuführen. Der Priester habe einem Selbstmörder seinen Segen nicht erteilen wollen und sich heftig gewehrt. Man habe ihn mit Gewalt zum Grab gebracht und unter vorgehaltener Pistole gezwungen, das einfache und schnelle Begräbnis durchzuführen. Das Grab sei wegen der Raubtiere in dieser Gegend sehr tief ausgehoben worden, aber abgesehen von einem schlichten Holzkreuz nicht gekennzeichnet. Nach dem Begräbnis seien sie schnell und auf anderem Weg weitergereist, um Schwierigkeiten mit der Polizei und dem Verwaltungsbeamten des Distrikts zu vermeiden. Estelle habe den Tod ihres Vaters nur schlecht verkraftet …
John hatte die Nachricht von ihrem nächsten Rastplatz geschickt. Arthur Ransome erhielt einen ähnlichen Brief. Sollte in Kalkuttas Zeitung eine Todesanzeige erscheinen? John überließ Ransome die Entscheidung darüber ebenso wie den Wortlaut.
Olivia war so bestürzt, daß sie zunächst keinen klaren Gedanken fassen konnte. Nachdem der erste Schock vorüber war, dachte sie plötzlich, Lady Bridget würde die Rücksicht gebilligt haben, mit der ihr Mann einen weiteren Skandal vermied, indem er sich außerhalb von Kalkutta erschoß.
Olivia kleidete sich hastig an und eilte zum Haus der Templewoods, um Arthur Ransome im Moment seines größten Kummers beizustehen. Aber er war nicht zu Hause. Vermutlich suchte er Einsamkeit und Stille, um den unwiederbringlichen Verlust zu betrauern und sich damit abzufinden. Olivia begriff, daß er diesen Verlust schon sehr lange vorausgesehen hatte.
Einer der beiden Männer muß weichen.
Das war geschehen. Noch ein Opfer? Nein, diesmal nicht. Es war ein Todesfall, aber kein Opfer. Sir Joshua Templewoods Stolz hätte nicht erlaubt, es als Opfer zu sehen.
Olivia schrieb ihrer Cousine Estelle sofort einen Brief.
*
In der nächsten Nacht begannen die Blutungen.
»Kein gutes Zeichen, mein Kind, nein, das ist kein gutes Zeichen.« Dr.Humphries war in den frühen Morgenstunden gerufen worden und wirkte besorgt.
»Ist es etwas Ernstes?« Olivia krampfte sich das Herz zusammen. »Besteht die Gefahr, daß ich das Kind verliere?«
Er wurde freundlich. »Nein, nein, das nicht. Zumindest nicht im Augenblick. Wir werden die Blutungen schnell gestillt haben. Aber von jetzt ab keine Burra Khana und andere Feste mehr.« Er runzelte mißbilligend die Stirn. »Sie brauchen absolute Ruhe.«
»Ruhe?« Sie stützte sich mühsam auf einen Ellbogen. »Wie lange?«
»Oh, nicht lange. Ungefähr einen Monat.« Um sie aufzumuntern, bereitete er fröhlich pfeifend seine Arzneien zu.
»Einen Monat!« Olivia wurde bleich. »Aber ich fahre in einer Woche!«
»Das habe ich gehört. Und es tut mir leid, daß wir Sie verlieren, mein Kind. Aber Hawaii oder Timbuktu und übrigens auch Ausflüge in das verwünschte Kontor sind von jetzt ab tabu. Das heißt«, er sah sie unter gesträubten Augenbrauen durchdringend an, »wenn Sie das Kind nicht verlieren wollen. Wollen Sie das?«
»Nein, natürlich nicht.« Unglücklich sank Olivia wieder in die Kissen. »Aber ich muß fahren.«
»Das werden Sie, mein Kind, das werden Sie auch.« Er tätschelte ihr die Hand, »ein Monat hier oder dort, das ist doch nicht weiter wichtig.«
»Ich kann mich auf dem Schiff ausruhen!« Sie ergriff flehend seine Hand. »Ich könnte im Bett liegen bleiben, bis wir in Honolulu sind. Mary wird mich gut versorgen, das wissen Sie.«
Er setzte sich und sah sie ernst an. »Es gibt Stürme im Pazifik, schreckliche Stürme, Olivia. Ich weiß es, ich habe einen erlebt. Man wird hin und her geschleudert, und selbst Leute in bester Verfassung stehen das nicht durch. Nur wenige Schiffe sind medizinisch so gut ausgerüstet, um im Notfall eine Operation durchführen zu können – das heißt, wenn überhaupt ein Arzt an Bord ist. Wir wollen doch kein Risiko eingehen, Kleines, nicht wahr? Wenn Sie trotzdem fahren, nun
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