Wer Liebe verspricht
jedoch, daß sie ihrer Cousine gegenüber unmäßig hart gewesen war. Wie sehr sich Estelle auch in Raventhorne täuschen mochte, Olivia zweifelte inzwischen nicht mehr daran, daß sie ihr die Wahrheit erzählt hatte. Aber im Augenblick wollte sie nicht darüber sprechen. Deshalb wechselte sie das Thema. »Ich wollte dich schon die ganze Zeit nach deinem Haus fragen, Onkel Arthur. Hast du inzwischen einen Käufer gefunden?«
Ransome lachte. »Nachdem Raventhorne zurück ist? Ich werde keinen Käufer finden, mein Kind. Dafür wird er sorgen.«
Sie konnte es nicht glauben. »Selbst jetzt nicht? Onkel Josh ist tot und begraben …!« sagte sie fassungslos.
»Aber ich noch nicht.«
»Er kann doch nichts gegen dich haben?« erklärte Olivia empört und vergaß ihre Niedergeschlagenheit. »Ich habe eine Idee. Da Lubbock mein Haus nicht haben kann, werde ich ihn fragen, ob er an deinem interessiert ist. Ich weiß, er möchte so schnell wie möglich in den eigenen vier Wänden leben.«
»Lubbock wird sich nicht für mein Haus interessieren. Auch er macht Geschäfte mit Trident.«
Ihr Ärger riß sie aus der Apathie, und sie erklärte energisch: »Das werden wir erst wissen, wenn wir ihn fragen! Lubbock ist Amerikaner. Er ist kein Schwächling, sondern ein geborener, geübter Kämpfer. Er läßt sich bestimmt nicht von vagen Drohungen erpressen!« Ransome sah sie skeptisch an. »Weshalb sollte sich Lubbock unnötige Schwierigkeiten einhandeln?«
»Er ist ein Außenseiter und schert sich nicht um Schwierigkeiten. Vielleicht machen sie ihm sogar Spaß! Ich glaube, wenigstens ein Versuch lohnt sich.«
Ransome musterte sie mit sichtlichem Unbehagen. Olivia hatte plötzlich wieder Farbe in den Wangen, und ihre Augen wirkten lebhaft. »Moment mal, du wirst dir doch nicht noch mehr meiner Probleme aufladen, mein Kind? Mir wäre es lieber, du würdest jetzt in erster Linie an deine Gesundheit denken und an dein ungeborenes Kind.«
»Aber das tue ich doch«, murmelte Olivia. Für den Rest des Abends hing sie wieder ihren eigenen Gedanken nach und war kaum ansprechbar. Sie aßen zusammen eine einfache Mulligatawny-Suppe mit noch warmen, knusprigen Brötchen und spielten anschließend ein paar Runden Backgammon, ohne recht bei der Sache zu sein. Sie hatten beide wenig Lust auf belanglose Konversation, hingen ihren jeweiligen Gedanken nach und tranken dabei beide ein paar Gläser Wein mehr, als sie eigentlich wollten.
»Weißt du, er war hilflos. Und schließlich hat es ihn umgebracht.«
»Was …?« Olivia überraschte Ransomes Bemerkung, denn sie hatte ihn gebeten, ihr das Glas zu füllen, und sie verstand den Zusammenhang nicht.
Er blickte nicht länger nachdenklich auf die gegenüberliegende Wand, sondern sah sie an und sagte mit einem tiefen Seufzer: »Jai war sich an jenem Abend seiner Sache sicher, Olivia. Im Ernstfall, bei einer Konfrontation, brachte es Josh nicht über sich, seinen Sohn zu erschießen …«
Verwirrt brach er ab. »Du … äh, hm, weißt doch, daß Josh … Jais Vater war?« Da er nie darüber gesprochen hatte, wurde er rot.
»Ja.«
Mit echter Reue sagte er: »Verzeih mir, Olivia, wenn ich über diese Dinge nicht mit dir gesprochen habe. Aber es gibt in Joshs und Bridgets Leben bestimmte Bereiche, über die mit einem anderen zu reden ich mich moralisch nicht berufen fühlte. Jetzt ist alles vorbei …« Er ließ den Kopf sinken. »Ja, alles ist vorbei, und beschämende Lügen sind nicht mehr nötig. Ich kann dir jetzt alles erzählen – auch meinen Anteil an dieser schmutzigen Geschichte. Es wird mir eine Erleichterung sein, mich von dieser Last endlich ganz zu befreien. Das heißt …«, er sah Olivia verunsichert an, »wenn du die wehmütigen
Erinnerungen eines trauernden alten Mannes ertragen kannst.« Einst hatte Olivia mit unersättlicher Gier und glühender Erwartung gehofft, etwas über Jai Raventhornes Leben zu erfahren. Aber das war lange vorbei. Als sie Ransome jetzt aufmunternd zunickte, tat sie es aus sehr eigennützigen Gründen. Sie wußte, Wissen war Munition. Sollte das unheilvolle Schicksal Olivia zu einer Konfrontation mit ihm zwingen, dann mußte sie gerüstet sein. Haß allein würde ihr nicht helfen. Deshalb beugte sie sich interessiert vor und fragte: »Weshalb konnte er ihn nicht erschießen? Aus Mitleid wohl kaum …«
»Mitleid?« Ransome legte den Kopf zurück und blickte zur Decke.
»Nein, kein Mitleid. Es war etwas weniger Greifbares mit im Spiel. Ich
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