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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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runzelte die Stirn und nickte. »Ich hatte es natürlich verschwiegen, aber jetzt sollst du es wissen. Neben allem anderen drohte er Josh auch, ihm seine ›andere Familie‹ zu nehmen. Wenn man bedenkt, daß Estelle damals gerade geboren worden war, haben die Ereignisse achtzehn Jahre später eine erschreckende Bedeutung bekommen.«
    Olivia bewegte sich nicht. Jai hatte damals beschlossen, Estelle in den Plan der allgemeinen Zerstörung miteinzubeziehen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Dann dachte sie daran, daß dieser Mann eines Tages ihr Feind sein mochte – und ein zweiter Schauer lief ihr über den Rücken.
    »Du hast mir eine Frage über Josh gestellt. Ich werde sie jetzt beantworten. Wäre Jai unterwürfig und ehrerbietig nach Kalkutta zurückgekehrt und hätte seinen gütigen Vater um Hilfe gebeten, wäre Josh großzügig gewesen und sein Verhalten ihm gegenüber vermutlich ganz anders. Aber Jai kehrte nicht als Bettler oder als Bittsteller zurück, der um seine Gunst warb. Er trat als Konkurrent auf, als Rivale im Teehandel, als Herausforderer. Stell dir das vor – sein unehelicher Sohn von der falschen Seite des Tischs, der im Dienstbotengebäude in seinem Haus zur Welt gekommen war! Ich habe Josh nie so aufgebracht, so wütend und empört gesehen wie an jenem Tag, als Jai unangemeldet in seinem Büro erschien und seine Rückkehr kundtat. Dann folgten andere Herausforderungen, die noch schwerer zu verkraften waren als sein Erscheinen im Kontor. Jais geschäftlicher Aufstieg war kometenhaft. Auch du wirst wissen, Olivia, daß Eurasier in unserer Kolonialgesellschaft bedauerlicherweise in beiden Lagern, also bei den Europäern und den Indern, ganz unten auf der gesellschaftlichen Stufenleiter stehen. Raventhorne machte jedoch geschickt und erfolgreich mit beiden Seiten Geschäfte. Vielleicht brachte ihm sein leidenschaftlicher und unverhohlener Haß auf die Engländer das Vertrauen der indischen Kaufleute ein. Seine Geschäfte mit ihnen zahlten sich in Gewinnen aus, die unsere übertrafen. Und im Laufe der Jahre gelang es ihm, die Europäer in seine Abhängigkeit zu bringen. Sie konnten nicht auf seine Klipper, seine Lagerhäuser und seine Zuverlässigkeit verzichten.«
    Olivia nickte ungeduldig. »Ja, das weiß ich alles, aber …«
    »Darauf komme ich noch zu sprechen, darauf komme ich noch …« Ransome richtete sich erregt auf und beugte sich vor, um die Bedeutung seiner nächsten Worte zu unterstreichen. »Alles, wovon Josh träumte, schien Jai als erster zu verwirklichen: trotz der Tea Parties beachtliche Tee-Exporte nach Amerika, die Einführung von abgepacktem Tee für den Einzelhandel, die schnellste Flotte in den indischen Häfen – und Joshs größter Traum: Dampfschiffe. Josh hatte die riesigen Teebäume in Assam gesehen. Wem es gelang, einheimischen Tee anzupflanzen, der war aus der Abhängigkeit von China befreit und damit auch vom Opium. Dank seiner Herkunft mütterlicherseits unternahm Raventhorne den Versuch und hatte Erfolg. Alle Bemühungen der Europäer um Teeplantagen scheiterten an Problemen mit den Arbeitskräften, den steigenden Kosten und der qualitativ schlechten Ernte. Raventhornes Leute, die den Bergstämmen angehörten, nutzten ihr traditionelles Wissen, und seine Plantagen wuchsen und gediehen.
    Von Neid und Eifersucht gepackt, fühlte sich Josh von ihm bedroht. Und vergiß nicht die skrupellosen Überfälle und Sabotageakte, mit denen er unsere Opiumsendungen erbeutete und unsere Teelieferungen nach London ruinierte. Unser Ruf litt, unsere Glaubwürdigkeit war dahin, die Erfolge unserer Arbeit brachen in sich zusammen, und Raventhornes Geschäfte blühten. Wir alle waren uns einig: Der Mann war ein Besessener. Er mußte irgendwie zu Fall gebracht werden.«
    »Und deshalb«, sagte Olivia leise, »wurde sein Niedergang vorbereitet …« Sie griff nach ihrem Milchglas und trank. Trotz Ransomes leidenschaftlicher Erzählung schienen die Akteure in seiner Geschichte immer unwirklicher zu werden. Aus der Distanz wirkten sie alle so blaß wie gepreßte Blumen, die man zwischen vergilbten Buchseiten vergessen hat.
    »Ja.« Er leugnete den Vorwurf nicht länger. »Der Tod des Nachtwächters war nicht geplant, aber alles andere. In seinem Ehrgeiz getroffen, vergaß Josh, daß Jai sein Sohn ist, vergaß die Zusammenhänge, vergaß die Widersprüchlichkeiten und Unsicherheiten. Er dachte nur daran, daß sein Lebenswerk gefährdet war. Er … Ich natürlich auch, wie

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