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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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lächelte bitter. »Jai hat in all den vielen Jahren nichts anderes versucht, als die Waagschalen der Gerechtigkeit wieder etwas mehr ins Gleichgewicht zu bringen. Und wenn man es recht bedenkt, findest du nicht auch, wir haben seine Rache voll und ganz verdient?«
    Ransome entschuldigte sich verlegen dafür, ihr den wertvollen Schlaf mit seinen nutzlosen Erinnerungen geraubt zu haben, bedankte sich für die Geduld, mit der sie ihm zugehört hatte, und verließ schweigend das Zimmer. Noch ganz im Bann der letzten Enthüllung sah ihm Olivia stumm nach.
    Es war inzwischen beinahe drei Uhr morgens. Sie hatten stundenlang geredet und an Dinge gerührt, unter deren Oberfläche noch schmerzendere Wunden lagen. Olivia hätte eigentlich völlig erschöpft sein müssen, denn ihr geschwächter Körper schrie nach Schlaf. Aber nach Ransomes offener Selbstanklage fühlte sie sich hellwach und erstaunlich munter. Ihre Gedanken bewegten sich auf vielen Ebenen gleichzeitig und überschlugen sich geradezu. Diese Wiederbelebung war ebenso heilsam wie Dr.Humphries’ Medizin. Erstens hatte sie die Erwähnung von Lubbock an etwas Wichtiges erinnert. Auch sie war Amerikanerin und zum Eintreten für ihre Ziele geboren! Ihr mutiger Vater war immer ein leuchtendes Vorbild gewesen. Für ihn gab es keine Aufgaben, auch wenn die Niederlage unvermeidlich zu sein schien. Von ihm hatte sie gelernt, moralische Feigheit zu verabscheuen, jeden zu verachten, der sich nicht für seine Pläne einsetzte, der aufgab, ohne die Verwirklichung nicht wenigstens gewagt zu haben. Gewiß, Olivia hatte einen Rückschlag erlitten, aber wie Dr.Humphries sagte, ging deshalb die Welt nicht unter. Warum sollte sie sich vor Jai Raventhorne verstecken? Was würde ihr Vater sagen, wenn er sie so sehen würde – vor Angst geschwächt und von Selbstmitleid erfüllt? Sein Rat in dieser Situation, wenn er ihr hätte raten können, wäre bestimmt gewesen: Laß Jai Raventhorne doch zurückkommen und das Schlimmste tun!
    Wenn die Umstände es verlangten, dann mußte sie eben hier in Kalkutta bleiben. Sie mußte seine Herausforderung annehmen. Und wenn er je wagen sollte, ihren Sohn zu beanspruchen, ihn ihr wegzunehmen, würde sie den Fehler ihres Onkels nicht wiederholen.
    Ich werde auf sein Herz zielen, und ich werde treffen!
    Der lange Bericht, mit dem Arthur Ransome sein Gewissen bereinigen wollte, verwob für Olivia die Vergangenheit mit der Gegenwart auf eine merkwürdige Weise. Ihr Herz empfand seine Schmerzen. Ransome hatte sich nicht geschont, obwohl er bei der unheilvollen Verschwörung nicht die Hauptrolle spielte. In seiner unverminderten Treue zu dem toten Freund nahm er die Hälfte der Schuld auf sich. Doch Olivias Gedanken lösten auf einer anderen Ebene einen anderen Sturm und andere Schuldgefühle aus. Ransome hatte, so gut er konnte und soweit er dazu in der Lage war, sein Gewissen von der Last befreit, mit der er schon so lange lebte. Sie mußte endlich das gleiche tun!
    Olivia achtete nicht darauf, daß der Morgen bereits anbrach und sie nicht geschlafen hatte. Sie setzte sich an ihren Sekretär und schrieb ihrer Cousine Estelle einen zweiten, sehr viel längeren Brief.

Neunzehntes Kapitel
    Es war Weihnachten.
    Im gemütlichen Wohnzimmer im Erdgeschoß, dem am wenigsten förmlichen aller Salons im Palais, stand ein großer Nadelbaum in einem Holzkübel. Er war wunderbar geschmückt mit bunten Bändern, Glaskugeln, glitzernden Rauschgoldengeln, silbernen Sternen, schneeweißer Watte, einem Pappweihnachtsmann mit Hirschen und Mispel- und Stechpalmenzwéigen, die für sündhaft viel Geld bei Whiteaways erstanden worden waren. Im Haus wurde gesungen und musiziert, und man hörte Lachen – eine Seltenheit! Zum Weihnachtsfest erschienen die Donaldsons, die Humphries und natürlich Arthur Ransome. Es gab die traditionellen Gerichte, die Rashid Ali und der eigens dazu herbeigerufene Babulal mit unvergleichlichem Können zauberten. Alle bekamen Geschenke, auch die Dienstboten mit ihren Familien – und besonders die Kinder. Es gab Feuerwerk und Knallfrösche, Weihnachtslieder wurden gesungen, und man feierte so fröhlich, wie man es seit Jahren in dem eleganten, von zu wenigen Menschen bewohnten Palais nicht mehr erlebt hatte.
    Für Olivia war es das zweite Weihnachten in Indien. Es war ganz anders als das trostlose ›Fest‹ vor zwölf Monaten in Barrackpore, wo niemand den Mut aufgebracht hatte, sich an die Feiertage überhaupt zu erinnern!
    Daß dieses

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