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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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mich vorhin etwas gefragt, was ich bisher nicht bereit war, dir zu sagen – aber nicht, weil ich es dir vorenthalten wollte, sondern weil ich mich schäme. Ja, Jai hat auch mir viel vorzuwerfen! Und das hat mit seiner Mutter zu tun.« Olivia schüttelte die Müdigkeit ab und setzte sich wieder. »Wir müssen noch einmal drei Jahrzehnte rückwärts schauen, als Josh die vergessene Nymphe wiedersah. Diesmal empfand er keine Leidenschaft, sondern nur Mitleid mit ihr. Außerhalb der idyllischen Berge war sie in seinen Augen eine ganz gewöhnliche Eingeborene wie alle Ajas. Seine Schuldgefühle geboten ihm, freundlich zu der Frau zu sein. Aber in den acht Jahren in seinem Haus fürchtete er ständig, sie könnte eines Tages unüberlegt ihr Geheimnis und auch sein Geheimnis enthüllen!«
    »Und das tat sie nicht? Sie vertraute sich niemandem an, nicht einmal den anderen Dienstboten?« Die nüchtern denkende Olivia konnte das nicht glauben. »Man weiß doch, wie die Dienstboten reden und an Klatsch interessiert sind. Untereinander haben sie bestimmt über ihre Vermutungen gesprochen!«
    Ransome nickte etwas ungeduldig. »Genau das will ich dir ja erklären. Jais Mutter sprach mit keinem Menschen darüber, vielleicht noch nicht einmal mit ihrem Sohn, denn Josh hatte es ihr verboten. Und für sie war das Gesetz. Weißt du, sie hat ihn geliebt. Bis zum Ende hat sie Josh bedingungslos geliebt. Wenn die Dienstboten untereinander redeten, nun ja, Mischlinge waren inzwischen keine Seltenheit mehr. Viele Sahibs hielten sich indische Mätressen, von denen nicht wenige als gut aussehende Dienerinnen im Haus lebten. Es ist ein schlimmes Zeichen unserer Zeit, Olivia, daß manche Engländer solche Dinge zu ihren Rechten als Herren zählen. Und viele Inderinnen nehmen das in ihrem verwünschten Fatalismus und ihrer Unterwürfigkeit als gegeben hin, und manche sind sogar noch stolz darauf.« Er blickte empört auf die glühende rote Spitze der Stumpen. Dann nahm er den Faden seines Berichts wieder auf. »Es sollte dich auch nicht überraschen, daß in späteren Jahren niemand in der Stadt einen Zusammenhang zwischen Lady Stella Templewood und Jai sah. Sie starb noch vor Estelles Geburt. Jai kehrte erst viele Jahre später zurück, um Furore zu machen. Abgesehen von mir und ein oder zwei von den Älteren erinnert sich niemand mehr an die ungewöhnliche Farbe von Lady Templewoods Augen!«
    Olivia interessierte sich nicht mehr für die Augen der alten Lady Templewood. Aber der Gedanke an die schuldlose Eingeborene und ihre blinde Ergebenheit für einen Mann, der es so wenig verdiente, ließ sie nicht mehr los. Sie wollte unbedingt mehr über diese Frau erfahren. »Aber hat diese Frau nie Gerechtigkeit verlangt – für sich und ihr Kind? Dieser hartherzige Befehl genügte, um sie zum Schweigen zu bringen?«
    »Ja, er genügte. Sie hielt sich daran. Aber wir hatten unsere Zweifel. Wir ergriffen Maßnahmen, damit sie ihr Schweigen nie brechen würde. Wir verschafften uns diese Sicherheit mit Opium.« Wieder senkte Ransome den Kopf und blickte auf die Schuhe. Seine tonlose Stimme war beredter als alles andere. »Lady Templewood kam auf diese Idee. Aber wir beide, Josh und ich, haben sie begeistert aufgegriffen. Und jede tödliche kleine Dosis versiegelte ihren Mund noch mehr. Das Opium machte sie zur Sklavin unseres Willens. Das Opium trieb sie in eine Traumwelt, in der es keine unbequeme Wirklichkeit und aus der es keine Flucht gibt. Als Jai acht war, konnte sie keinen Tag mehr ohne Opium sein. Sie war hoffnungslos süchtig und damit natürlich keine Bedrohung mehr für unsere Ehrbarkeit.«
    Ransome erwartete nicht, daß Olivia etwas dazu sagte, und sie tat es auch nicht. Aber trotz des warmen Feuers wurden ihre Hände eiskalt. Verfolgt von den Geistern der Vergangenheit, die er schonungslos beschworen hatte, erschauerte Ransome. Er stand schweigend auf, blickte mit tränenverschleierten Augen auf die Taschenuhr und nickte, als sei er sich wirklich bewußt, wie spät es war. Dann nahm er seinen Mantel vom Stuhl. Er zog ihn vor dem bodenlangen Spiegel an und knöpfte ordentlich jeden Knopf zu.
    »Du siehst also, mein Kind, wir haben Jais junge Mutter umgebracht.« Seine Ruhe war gespielt. Innerlich brach er vor Schuldgefühlen beinahe zusammen. »Wir haben sie rücksichtslos geopfert, um unsere blütenweiße Weste zu behalten. O ja, Jai Raventhorne hat mir noch immer viel vorzuwerfen, sehr viel!« Er schob die Hände tief in die Taschen und

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