Wer Liebe verspricht
machte sich auf den Weg hinunter in die Ebene, um den Sahib zu suchen, den sie nur als Josh kannte. Sie brauchte viele Monate, um in die Stadt zu gelangen, und noch viele Wochen mehr, um das Haus in der Stadt ausfindig zu machen. Als sie das Tor schließlich erreichte, brach sie dort zusammen, und die Geburt ihres Kindes stand unmittelbar bevor.«
Olivia runzelte die Stirn und sagte: »Dann kam sie also zum Templewood-Haus und nicht zu dir. Und ihr Kind wurde dort auf dem Dienstbotengelände geboren.«
Sie wollte ihn damit nicht an eine Lüge erinnern. Trotzdem entschuldigte er sich sofort: »Ja! Ich habe dir damals nicht die ganze Wahrheit gesagt, Olivia. Aber jetzt werde ich dir bestimmt nichts mehr unterschlagen. Ja, es stimmt, Joshs Dienstboten gewährten ihr Unterkunft, und mit ihrer Hilfe ließ sich ihre Geschichte zumindest teilweise rekonstruieren. Es war an einem Sonntagmorgen. Ich weiß noch, daß Bridget und Joshs Mutter in der Kirche waren. Josh geriet trotzdem in Panik, kam atemlos zu mir und bat mich um Hilfe. Ich war natürlich sofort einverstanden, die Frau bei meinen Dienstboten unterzubringen, aber noch ehe wir das bewerkstelligen konnten, kehrten Bridget und seine Mutter von der Kirche zurück. Man erklärte den beiden, die Frau sei mit dem jungen Gärtner verheiratet. Aber das interessierte die Damen nicht sonderlich. Die Lüge wurde hingenommen und die Übersiedlung in mein Haus hinausgeschoben. In der Nacht braute sich das Unheil noch mehr über Josh zusammen. Gegen Mitternacht, während ein heftiger Monsunsturm tobte, gebar diese Frau einen Sohn, Joshs Sohn. Die Frau und die Tochter des Dhobi fungierten als Hebammen. Mit dieser Geburt hat die arme Frau unwissentlich und unschuldig unser aller Leben verändert.«
Er schwieg, nahm eine Orange aus der Obstschale auf dem Tisch und schälte sie bedächtig. Erst nachdem sie sich stumm die Orange geteilt und sie gegessen hatten, fuhr er mit seiner Geschichte fort.
»Stell dir die Nymphe vor, Olivia! Das ungebundene Kind der Natur war plötzlich in einer dunklen Zelle gefangen wie ein aufgespießter Schmetterling unter Glas. Es war schrecklich und erschütternd! Aber sie dachte nie daran, sich an dem Mann zu rächen, der sie in diese Hölle gebracht hatte. Die Götter beschlossen ohne ihr Zutun, ihr zu Hilfe zu kommen und etwas von dem Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Das Mischlingskind hatte keinen Namen, aber seine Augen waren der sichtbare Beweis seiner Herkunft. Es fiel nicht schwer, den Zusammenhang zu sehen.«
»Wer sah es als erstes? Tante Bridget?« fragte Olivia.
»Um Himmels willen, nein! Sie kam direkt aus einer Klosterschule und war streng und moralisch erzogen. Sie hatte dort gelernt, schon der Gedanke an eine Sünde sei eine Sünde. Die arme Bridget wäre nie auf solche Gedanken gekommen. Aber Lady Templewood! Als sie erschien, um das Neugeborene in Augenschein zu nehmen, wie sie es immer tat, wußte sie sofort Bescheid und war wütend! Sie befahl Josh, Mutter und Kind auf der Stelle aus dem Haus zu schaffen, ehe Bridget etwas ahnte. Aber weißt du, was dann geschah, Olivia?« Ransome rieb sich gedankenverloren das Kinn und schwieg. »Josh weigerte sich. Soweit ich mich erinnere, bot er seiner Mutter damals zum ersten Mal trotzig die Stirn. Nach einer hitzigen Debatte setzte Josh einen Kompromiß durch. Sie einigten sich darauf, daß Mutter und Kind bleiben durften, aber die Frau sollte dafür sorgen, daß das Kind nie das Dienstbotengelände verließ.«
Olivia staunte. Wie konnte so etwas auf Dauer funktionieren? Aber dann erinnerte sie sich an einen Besuch auf dem Dienstbotengelände hinter dem Küchenhaus der Templewoods. Dort waren scharenweise Kinder herumgelaufen, die sie vorher nie gesehen und von denen sie nichts geahnt hatte. Olivia schwieg.
»Am Abend nach Jais Geburt schlichen wir uns in die Hütte, um uns das Kind anzusehen, das Josh unseligerweise gezeugt hatte. Als Josh das Baby sah, wurde er bleich. Ihm wurde bewußt, daß er vor seinem Erstgeborenen stand, seinem Sohn, und er war sprachlos vor Ehrfurcht. Seine Tat erfüllte ihn immer noch mit Abscheu und Widerwillen, aber gleichzeitig war er fasziniert und auf unerklärliche Weise beinahe begeistert. Und weißt du was, Olivia?« Ransome schien plötzlich entkräftet in sich zusammenzusinken. »Diese beiden entgegengesetzten und unvereinbaren Gefühle bestimmten Joshs Beziehung zu seinem Sohn, seit er ihn zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte. Mich
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