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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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damals oder nur eine bemerkenswerte ähnliche Verwandte. Das riesige Netz versperrte jedoch noch immer den Pfad im Wald in der Nähe des Mahrattengrabens. Auch an diesem frühen Morgen, von Tau benetzt, wirkte es wie ein juwelengeschmückter Wandschirm aus schwarzer Spitze. Der Banjanbaum war natürlich noch derselbe. Die gewundenen Wurzeln boten noch immer bequeme Sitze wie vor mehr als zwei Jahren. Olivia setzte sich versonnen und beobachtete das zielgerichtete Treiben der geschäftigten kleinen Spinne, die ihrerseits Olivia nicht zu beachten geruhte. Der Kopf mit den Knopfaugen glitt wie ein Uhrpendel von einer Seite zur anderen und spann die Fäden der Zeit, Millimeter um Millimeter – Seide von erlesenster Zartheit. Die Spinne registrierte die neugierige Beobachterin sehr wohl und warf ihr von Zeit zu Zeit prüfende Blicke zu, ohne jedoch die Arbeit zu unterbrechen. Olivia erfaßte wehgmütiger Neid. Wie paradiesisch, im Leben nur eine Aufgabe zu haben – nur diesen einen Faden des Daseins spinnen, in dem es nur das Hier und Jetzt gab!
    Im Wald hatte sich nichts verändert, seit sie ihn an jenem Morgen verlassen hatte. Nur Jasmin fehlte, sie war an ein Waisenhaus verschenkt worden. Die anderen Pferde der Templewoods und die Kutschen hatte Lubbock übernommen. Olivia ritt diesmal eine andere Stute, ein schwarzbraunes Pferd aus Freddies Ställen. Und wenn sie die Augen schloß, konnte sie sogar das Bellen der Hunde hören.
    Warum war sie an diesem Morgen hier? Olivia fand keine Antwort, die ihre Vernunft billigen konnte. Zu ihrer großen Freude hatte Dr.Humphries ihr endlich wieder das Reiten erlaubt. »Aber kein Jagdspringen«, hatte er streng hinzugefügt. »Nehmen Sie ein Pferd, das eine Lady ist – und dann reiten Sie auch wie eine Lady: im Damensattel!« Olivia hatte eine Ewigkeit lang nicht mehr auf einem Pferd gesessen, und das Gefühl der Freiheit erfaßte sie wie ein Taumel. Aber warum ritt sie durch den Wald? Olivia fand noch immer keine Antwort auf diese seltsame Frage. Offenbar hatte sie eine ungreifbare und sadistische Kraft hierher geführt, die in ihrem Unterbewußtsein schlummerte.
    Und vermutlich die schrecklichen, sich Nacht für Nacht wiederholenden Alpträume.
    Tagsüber gehorchte ihr der Verstand im allgemeinen. Aber in der Nacht, wenn die Kontrolle des Bewußtseins fehlte, spielte er ihr böse Streiche. Wie weiße Kaninchen aus dem Hut eines Zauberers verwandelten sich ohne ihre Erlaubnis oder ihr Zutun unzusammenhängende Fragmente in Bilder der Vergangenheit. Ihr Unterbewußtsein schien in aller Heimlichkeit und ohne ihr Wissen offenbar jedes Wort, jeden flüchtigen Gedanken, jede Geste und jede Empfindung aufbewahrt und gespeichert zu haben. In ihren Alpträumen hallten Echos und Töne mit erschreckender und vergessener Klarheit wider. Olivia sah im Schlaf Gesichter, sie berührte, schmeckte und roch Dinge, die für sie keine Bedeutung mehr haben sollten. Reiner Wahnsinn trieb sie an diesem Morgen hierher, aber Olivia konnte die seltsamen Halluzinationen ebensowenig vertreiben wie den Bann, den der Wald, dieser Zauberer, über sie warf.
    Sie erkannte mit einer Ruhe, die sie in Erstaunen versetzte, daß die Rückkehr in die Vergangenheit unvermeidlich war. Vielleicht lag in der getreuen Wiederholung ihre Rettung, ihre endgültige Befreiung. Sie konnte den Erinnerungen, die sie verachtete, nicht länger aus dem Weg gehen. Um sich endgültig von ihnen zu befreien, mußte sie nacheinander jede einzelne wieder hervorholen, sie aus dem Abstand betrachten und dann für immer begraben. Die Lösung hieß: nicht verbergen, sondern kühne Konfrontation.
    Der Teich mit den Wasserlilien, über dem noch immer die Libellen tanzten, lag faulig und unbewegt unter einer Decke aus giftgrünem Schleim. Der Bel-Baum trug um diese Zeit noch keine Früchte, sondern erst wieder im Frühling.
    Ich kann alles ertragen, was zu sein du beschließt.
    Hier hatte sie diesen Satz ausgesprochen.
    Er saß auf jenem Stein und sagte: Ich weiß immer, wo du bist. Du kannst dich nicht vor mir verstecken.
    Staunend hatte er sie gefragt, welche Hartnäckigkeit sie antrieb.
    Eine Hartnäckigkeit, die man Liebe nennt.
    Von sich selbst distanziert, hörte Olivia ihre Stimme, die sich zu dieser Liebe bekannte. Sie hörte sie ebenso deutlich wie das Bellen der Hunde, die um sie herumsprangen. Und hier hatte er immer wieder über seine Verrücktheit gestöhnt. Aber jetzt schien nicht nur er an dieser Verrücktheit zu

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