Wer Liebe verspricht
leiden …
*
Olivia nahm dankbar Arthur Ransomes Hilfe an, als sie die letzte, mühsame Bestandsaufnahme im Palais machte. Außerdem konnte die Frage, was mit dem Familienschmuck geschehen sollte, nicht länger aufgeschoben werden. Der Tag der Abreise rückte näher. Olivia mußte eine Entscheidung treffen und wollte Ransomes Rat in dieser Angelegenheit unbedingt hören. Nachdem sie zusammen die langen Inventarlisten von Küche, Vorratskammer, Stallungen und den Geräteschuppen der Gärtner durchgegangen waren, fragte Olivia Ransome beim Frühstück: »Ich habe nicht vor, den Schmuck mitzunehmen. Fändest du es klug, ihn bei Pennworthy im Tresor aufbewahren zu lassen? Wenn ich das tue, dann wird Donaldson es erfahren und wissen wollen, warum ich den Schmuck nicht mitnehme.«
Ransome reagierte heftiger, als Olivia erwartet hatte. »Der Schmuck gehört dir!« erklärte er kategorisch. »Du hast das Recht, ihn mitzunehmen, wohin du auch gehst. Wie schwerwiegend deine Probleme mit Freddie auch sein mögen, du bist immer noch seine Frau und die Baronin. Ganz zu schweigen davon, daß du die Mutter seiner beiden Söhne bist.«
Vielleicht lag es daran, daß Olivia noch immer nicht ganz bei Kräften war, oder an ihrer inneren Unausgeglichenheit, vielleicht war sie aber auch nur aller Täuschungen überdrüssig … Sie beschloß spontan, Arthur Ransome die ganze Wahrheit zu sagen. Die Lügen sollten ein Ende haben. Olivia verabscheute sie inzwischen, besonders die schäbigen Halbwahrheiten, mit denen sie diesen anständigen Mann getäuscht hatte, der ihr die Freundschaft und Liebe schenkte, die sie so dringend brauchte. Er hatte etwas Besseres als diese Lüge verdient. Nach dem Frühstück legte Olivia die Serviette zusammen und fragte gefaßt: »Hast du dich nie gewundert, Onkel Arthur, warum du nach der Taufe Amos immer nur flüchtig gesehen hast, obwohl er dein Patenkind ist?«
Er runzelte die Stirn, denn er verstand die plötzliche Frage nicht. »Amos? Nun ja, nein. Das heißt …«, er rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und wurde rot, »doch. Ich muß gestehen, ich habe mich manchmal gefragt …«
Olivia stand auf. »Du wirst ihn jetzt sehen. Dann werde ich dir nichts weiter erklären müssen.« Sie verließ den Raum und rief Sheba.
Ransome hatte Olivia nicht gesagt, daß man sich diese Frage in der ganzen Stadt stellte. Aber er zweifelte nicht daran, daß sie das sehr wohl wußte. Es hatte boshafte Gerüchte über die Gründe gegeben, aus denen ihr Kind so einsam aufwuchs. Ransom hatte nie darüber gesprochen, aber es hatte ihn geschmerzt, auf Burra Khanas soviel darüber zu hören, und hin und wieder hatte er Olivia tapfer verteidigt. Er war nicht auf den Kopf gefallen und hatte vermutet, daß Amos in diesem Schattentheater, das er immer noch nicht ganz verstand, eine Rolle spielte – eine weit größere Rolle, als man dem Anschein nach vermutet hätte.
Olivia kam kurz darauf mit dem Kind zurück. Der inzwischen fünfzehn Monate alte Amos entdeckte gerade den Gebrauch seiner Füße und bestand darauf, mit dieser Errungenschaft seine Welt zu erkunden. Er lief unsicher und hielt sich an einem Finger seiner Mutter fest, stolperte ein- oder zweimal und fiel dann mit einem Plumps mitten auf den Teppich. Olivia ließ ihn dort sitzen, ging zum Tisch zurück und nahm Ransome gegenüber Platz. Amos sah sich nach etwas um, mit dem er spielen konnte, entdeckte ein Kissen und untersuchte es mit großem Interesse.
Olivia beobachtete Ransome. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, als er das Kind ansah. »Also?«
Sein Blick wurde plötzlich aufmerksamer, und er runzelte die Stirn. Nach Verwirrung und Erstaunen zeigte sich in seinem Gesicht noch etwas anderes. Die Erkenntnis dämmerte erst langsam, dann hatte er plötzlich alles begriffen und hielt die Luft an. »Allmächtiger!« flüsterte er erschrocken. »Sehe ich Gespenster, Olivia? Täuschen mich meine Augen …?«
»Nein, deine Augen täuschen dich nicht. Der Mensch, an den dich Amos so unverkennbar erinnert, ist wirklich sein Vater. Muß ich noch etwas erklären?«
Ransome schüttelte den Kopf und wurde totenblaß. Er fand keine Worte.
Amos kaute inzwischen auf einem Zipfel des Kissens herum, und der Stoff konnte jeden Augenblick zwischen seinen Zähnen zerreißen. Olivia stand auf, zog an der Klingelschnur und nahm dem Kleinen behutsam das Kissen aus den Händen. Wütend riß Amos den Mund auf und begann zu schreien. Aber noch bevor er seine volle
Weitere Kostenlose Bücher