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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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sie eine Großmutter. Ich bezweifle, daß wir uns wiedererkennen werden. Alle meine Freunde sind hier. Meine einzige Identität mit England besteht darin, daß ich mich auf der Straße nicht von allen anderen unterscheiden werde.« Er seufzte und lachte leise, als sei er über sich selbst ungehalten. »Ach … alles Unsinn! Das Alter macht mich sentimental. Mein Zuhause ist hier. Ich habe kein anderes. Wenn ich sterbe, möchte ich in indischem Boden neben Josh begraben werden.«
    Salim brachte frischen Tee, und Olivia füllte stumm ihre Tassen. Ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Alles würde falsch und oberflächlich klingen, aber sie teilte seine Einsamkeit. Auf seine Weise gehörte auch er zu zwei Welten und doch zu keiner, wie so viele Engländer, die sich ihrer Heimat entfremdet hatten.
    »Du mußt mein Gerede nicht ernst nehmen«, sagte Ransome und schüttelte seine Niedergeschlagenheit ab. Dann zwang er sich zu einem Lachen. »Ich könnte nie mehr in England leben … Ebensowenig, wie es Josh gekonnt hätte. Wir haßten beide die verfluchten Regenschirme, die man dort ständig mit sich herumschleppen muß. Ganz zu schweigen von den teuflisch kalten Wintern und dem wäßrigen Zeug, das sie Essen nennen. Außerdem, was würde ich ohne meinen Diener machen? Mein Gott, ich kann ja nicht einmal ein Paar Socken finden!« Sie lachten beide, tranken den heißen Tee und sprachen über Belanglosigkeiten, um die unsinnige Niedergeschlagenheit abzuschütteln. Und als Ransome schließlich aufstand, sagte er plötzlich: »Ach, das wildeste Gerücht habe ich dir noch nicht erzählt. Vielleicht muntert es dich auf und vertreibt den Kummer, den ich dir heute morgen gemacht habe. Einige behaupten zwar, Jai sei in Assam im selbstauferlegten Exil, aber es gibt andere, die es bestreiten. Man erzählt sich mit immer größerer Überzeugung, Kala Kanta sei vermutlich tot. Na, ist das nicht etwas, das viele Herzen froher schlagen läßt – vielleicht sogar deines?«

Dreiundzwanzigstes Kapitel
    War er tot?
    Die Frage ging Olivia nicht mehr aus dem Sinn. Sie zerrte an ihren Nerven und drängte sich in alle Gedanken. Olivia verstand die Hartnäckigkeit nicht, mit der sich diese Frage behauptete. Sie wurde sich selber fremd. Sie ritt jeden Morgen aus, um ihre Welt, die aus den Angeln zu gehen drohte, im Gleichgewicht zu halten. Sie kämpfte darum, den Verstand nicht zu verlieren. Ihre Ausritte führten sie weit ins Land hinaus, am Fluß entlang und in die Wälder am anderen Flußufer. Aber trotz der wimmelnden Menschenmassen um sie herum erlebte sie Kalkutta als eine Geisterstadt. Überall sah sie Gespenster: im Mangohain, im einsamen Buschland, in den Basaren, Tempeln und am Fluß – vor allem am Flußufer. Die Ganga lag wieder im Hafen, in Schweigen gehüllt, am Kai von Trident. Olivia fürchtete inzwischen die Wiederbelebung der Vergangenheit, von der sie so leidenschaftlich gehofft hatte, sie sei ein Weg zur Befreiung und Loslösung. Anstatt die Vergangenheit zu vertreiben, begannen die Erinnerungen, Olivia wieder das Blut auszusaugen. Ironischerweise war diesmal ihr Gegner unbesiegbar, denn der Gegner war sie selbst. Ja, ihr Leben war noch nicht beendet. Es war wie ein besticktes Kleid, bei dem die Säume noch nicht umstochen sind. Alle anderen Kapitel ihres Lebens waren in Ordnung gebracht. Sie konnte das Letzte nicht einfach unvollendet lassen.
    »Ist er tot?«
    Bei dem letzten Besuch in Kirtinagar stellte Olivia ihrer Freundin Kinjal die Frage, die sie nicht abschütteln konnte. Sie hatte Amos und Sheba zum Abschied von einer Familie mitgenommen, die sie jetzt als die eigene empfand. Wenn Kinjal über die Frage staunte, dann zeigte sie es nicht. Sie fragte zurück: »Würde es Ihnen etwas ausmachen?«
    »Nein. Es ist lediglich etwas Unerledigtes, das abgehakt werden muß.«
    »Wenn Jai tot ist, wäre es dann für Sie abgehakt?«
    »Ja, sofort.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann wird es etwas länger dauern, bis es soweit ist.«
    »Gut«, erwiderte Kinjal ebenso unerbittlich wie Olivia. »Da es für Sie so oder so keine große Bedeutung hat, werden wir später darüber sprechen.«
    Das Wiedersehen brachte Freude, aber unvermeidlich auch Schmerz. Sie versuchten, die Trauer über den langen, vielleicht endgültigen Abschied zu lindern, indem sie wilde Versprechungen machten, abenteuerliche Pläne schmiedeten und unmöglichen Träumen nachhingen.
    »Es ist schon immer mein Wunsch gewesen, einmal die Neue Welt zu

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