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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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»Kennen Sie ihn gut, Lady Memsahib? Stellen Sie deshalb Fragen nach längst vergessenen Dingen?«
    Olivia zuckte zusammen und kehrte in die Gegenwart zurück. Sie nahm die Zügel des Pferdes wieder fest in die Hand und zwang ihre Füße, sich in Bewegung zu setzen. »Nein, ich kenne ihn nicht gut. Ich war nur neugierig.«
    Er sah ihr nach, als sie davoneilte, und fragte sich: Warum füllen sich die Augen dieser Lady Memsahib wegen der Geschichte eines Fremden mit Tränen, obwohl sie nur aus Neugier gefragt hat?
    Olivia hatte in der Nacht wieder einen Alptraum. Es war der erschreckendste von allen. Sie lief über den Mond. Er schimmerte durchsichtig unter ihren Füßen. In der Hand trug sie ein rotes Samtbündel. Plötzlich begann das Bündel, sich zu bewegen, zu zucken und heftig zu zappeln. Sie legte es auf den Boden, öffnete es und sah darin viele Skorpione mit aufgerichtetem Schwanz und zum Stechen bereit. Ehe sie die Hand zurückziehen konnte, krochen sie mit ihren kalten Leibern darüber. Die Hand wurde rot, dick und blutete von dem Gift. Olivia schüttelte die Skorpione ab, wachte schreiend auf und war schweißnaß.
    Es fiel ihr nicht schwer, die Bedeutung des Alptraums zu erraten. Er erinnerte sie daran, was noch unerledigt war. Und sie mußte auch an Kinjals leider nur allzu richtige Mahnung denken. Ja, sie hatte noch nicht alle ihre Schulden bezahlt. Etwas mußte noch geschehen. Ja, Jai Raventhorne hatte ihr Amos aus freien Stücken zurückgegeben. Zumindest dafür stand sie immer in seiner Schuld.
    *
    Zwei glänzende Messinglaternen brannten schwach zu beiden Seiten der Mahagonihaustür. Der ebenfalls glänzende Messingtürklopfer hatte die Form einer Tigerpranke. Auf der erhabenen Oberfläche sah Olivia ihr Spiegelbild, aber es war entstellt wie in einem Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt. Sie hob die Hand und ließ sie wieder sinken. Sie zitterte und schloß die Augen. Stumm suchte sie nach einer Hilfe, nach zusätzlicher Kraft für diese letzte Mission in Kalkutta. Sie mußte wieder ein unbekanntes Meer überqueren, und sie wußte, dieses Abenteuer, vor dem sie sich am meisten fürchtete, ließ sich nicht vermeiden. Es mußte ihr gelingen, auch diese letzte Klippe zu umschiffen. Mit einem tiefen, langen Atemzug nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und hob die Hand. Diesmal zog sie sie nicht wieder zurück.
    Noch ehe das Echo des Klopfens verhallt war, öffnete sich lautlos die gut geölte Tür, und vor ihr stand Bahadur. Er hatte gelernt, nie Überraschung zu zeigen, und wagte nur den Bruchteil einer Sekunde, sie mit großen Augen anzusehen. Dann verneigte er sich wie immer tief und faltete die Hände zur Begrüßung. Olivia betete inbrünstig, Jai Raventhorne möge nicht zu Hause sein oder strikte Anweisung gegeben haben, sie nicht einzulassen, oder bereits mit der Ganga auf dem offenen Meer segeln. Aber noch ehe sie sich zu der entscheidenden Frage durchringen konnte, gab ihr Bahadur die Antwort, die sie nicht hören wollte.
    »Der Sarkar ist mit den Hunden am Fluß.«
    Er öffnete weit die Tür, aber Olivia schüttelte den Kopf und lief die Stufen hinunter. Sie bedeutete Bahadur, sie werde durch den Garten zum Ufer gehen und sich allein zurechtfinden. Olivia ging langsam und bereitete sich auf die Prüfung vor. Über ihr raschelten die Blätter der hohen Streitkolben- und Zedrachbäume so munter wie tanzende Füße. Die Hände des Mondes streichelten ihr den Nacken und kühlten ihr die glühende Haut. Der Geruch des Hooghly drang in ihre Nase und rief, wie alle Gerüche, sofort Erinnerungen wach. Am Himmel sah Olivia einige bekannte Sternbilder, die erstaunlich nahe zu sein schienen, und auch vereinzelte Wölkchen – alles vertraute Bilder im Ansturm der Erinnerungen. Die Zeit drehte sich zurück. Diese Konstellationen hatten damals bewirkt, daß sie verstohlen und unbemerkt die Burra Khana verließ. Es war eher eine Flucht gewesen! Hatte sie es wirklich so empfunden? Alles um sie herum war dunkel, aber die unbestechliche innere Sicht – die Verräterin! – war klar wie Kristall und zeigte ihr Bild um Bild einer Nacht, die inzwischen zu einem anderen Leben gehörte.
    Am Ufer sah und hörte sie die Hunde nicht. Vielleicht ging er an einer anderen Stelle spazieren? Aber auch in dieser Hoffnung sah sie sich getäuscht. Sie entdeckte sein weiß schimmerndes Hemd genau dort, wo sie es erwartet hatte: auf den Stufen, die zum Fluß hinunterführten. Olivias Atem ging schneller, obwohl sie stehengeblieben

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