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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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blutrote Inferno, das ihren Untergang begleitete. Sie riß ein heiliges Tulsi -Blatt ab und biß hinein. Es schmeckte scharf und sollte reinigend wirken. »Er wird ohne einen Blick zurück davonfahren.«
    »Für ihn gibt es wenig, auf das er zurückblicken kann.«
    »Ja, für mich auch«, sagte Olivia mit einem kalten Lächeln.
    Kinjal lächelte nicht. Sie blieb stehen und sah Olivia ernst an. »Sie sind besser dran als Jai, Olivia. Sie sind stark. Ihre inneren Kräfte haben Sie wieder aufgebaut. Ihn lähmt seine Schwäche. Genaugenommen haben Sie überlebt, und er ist das Opfer, Olivia. Sie haben gewonnen.«
    Gewonnen?
    Ja, sie hatte gewonnen. Sie hatte alles erreicht, was sie wollte. Warum schmeckte der Sieg dann überhaupt nicht süß?
    Olivia schwieg.
    »Jai wird bald fahren, aber er ist noch nicht weg. Er ist aus Assam zurück, wo er die ganze Zeit über gewesen ist. Jetzt befindet er sich in dem Haus am Fluß.« Kinjal umklammerte Olivias Arm, und ihre nachtblauen Augen sahen sie flehend an. »Lassen Sie Jai seinen Sohn noch einmal vor Ihrer Abreise sehen, Olivia! Er hat Ihnen Amos zurückgegeben, obwohl er nicht dazu gezwungen war. Jai verdient ein klein wenig Dankbarkeit, auch wenn es nur diese winzige Geste ist!«
    Olivia holt tief Luft und schüttelte dann den Kopf. »Nein, Kinjal.«
    Dann war es soweit, Olivia mußte nach Kalkutta zurück.
    *
    Überall im Haus standen Seekisten. Die Bestandslisten für die Versicherung waren bereits fertig. Die Kisten mußten noch verschlossen, numeriert und beschriftet werden. Olivia erledigte diese Aufgabe ohne Begeisterung. Sie spürte, ein Teil von ihr war in Kirtinagar geblieben. Ihre Trauer schien so groß, daß sie nichts richtig machen konnte. In ihrer Unkonzentriertheit beschriftete sie die Kisten alle mit Lulubelle. Erst Arthur Ransome machte sie auf den Irrtum aufmerksam. Die Korrektur schuf noch mehr Durcheinander und nahm Stunden in Anspruch. Die Liste ihrer Reisevorräte ergänzte und veränderte Olivia so oft, daß Willie Donaldson zum Schluß völlig den Überblick verlor. Und als sie dann schließlich entdeckte, daß sie irrtümlich aus allen Seekisten die Bestandslisten herausgenommen hatte, an denen sie tagelang gearbeitet hatte, und man für die Versicherung alles noch einmal auspacken, neu aufnehmen und wieder verpacken mußte, verlor Olivia die Nerven. Ransome und Donaldson waren sprachlos, als sie plötzlich in Tränen ausbrach und hysterisch schluchzend davonlief.
    Die George Washington würde in drei Tagen in See stechen.
    »Eine blaue Orchidee, Lady Memsahib …?«
    Olivia erinnerte sich nicht mehr an den Blumenverkäufer, bis er sie plötzlich ansprach. Es war ihr vorletzter Tag in Indien, der letzte Ausritt in den frühen Morgenstunden. Am nächsten Tag würden die Ställe ausgeräumt, die Kutschen zerlegt, zur Lagerung eingefettet und die Pferde ihren neuen Besitzern übergeben werden. Ransome, Donaldson, Lubbock und einige Angestellte von Farrowsham würden Olivia zum Schiff begleiten. Das Gepäck befand sich schon zur Zollabfertigung im Hafen und wurde anschließend auf den amerikanischen Klipper gebracht.
    Olivia sah den Blumenverkäufer erstaunt an, blickte sich um und stellte verblüfft fest, daß sie völlig unbewußt zu dem Blumenmarkt geritten war. In den Ständen lagen wieder einmal bündelweise gelbe Ringelblumen. Die langen, grünen Ranken der wilden Orchideen warteten darauf, in Baumstämme gepflanzt zu werden. Der Mann streckte die alte, verkrümmte Hand aus, um die sich die lavendelblauen Blüten der rankenden Orchideen wanden. »Wollen Sie wieder eine blaue Orchidee, Lady Memsahib?« wiederholte er und lächelte sie freundlich an.
    Ja, sie erinnerte sich an ihn. Auch er war ein Gespenst, die Wiederholung einer Szene! Olivia staunte nicht darüber, daß der Mann sich an ihren Besuch vor zwei Jahren erinnerte. Nicht viele Weiße wußten hier von diesem kleinen Blumenmarkt. Und die Verkäufer kannten bestimmt alle Europäer, die hierher kamen. Außerdem war sie in Begleitung eines Mannes gewesen, den er gut kannte. Olivia schüttelte auf seine Frage den Kopf und wollte weiter, aber irgendwie konnte sie es nicht. Ihre Füße rührten sich nicht von der Stelle, die Augen blieben unverwandt auf die Orchideenblüten gerichtet, die über seine Finger hingen.
    »Wächst die andere gut?« fragte er. Die Haut des Mannes erinnerte sie an zerknittertes braunes Packpapier. Und wenn er lächelte, verstärkte sich dieser Eindruck noch mehr.

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