Wer Liebe verspricht
stellen, glitt der hauchdünne Schleier von ihrem Kopf, rutschte tiefer und blieb an einer Brust hängen. Raventhorne griff ohne jede Verlegenheit sofort danach und brachte den Schleier wieder in die alte Lage. Sie wechselten einen Blick. Seine Hand blieb eine Spur länger als nötig auf ihrer Schulter liegen, ehe er sie zurückzog. Die flüchtige Geste, der Blick – das alles dauerte kaum ein oder zwei Sekunden, doch auf Olivia wirkte es irgendwie so intim, so unverhüllt sinnlich, daß sie spürte, wie ihr heiß die Röte in die Wangen stieg, und sich ihre Haare im Nacken sträubten. Sujata verließ den Salon mit einem Lächeln auf den glänzenden Korallenlippen. Während der ganzen Zeit hatte sie Olivia nicht ein einziges Mal angesehen.
Raventhorne legte ihr vor und tat in jede Schüssel eine kleine Portion. Er äußerte sich nicht zu Sujata, sondern konzentrierte sich ganz auf sein Tun, wobei er jedes Gericht und seine Zubereitung kurz erklärte. Olivia hörte geistesabwesend zu, denn sie war innerlich zu aufgewühlt von dem, was sie gesehen hatte. Diese Frau teilte also Jai Raventhornes Haus und Bett. Das Bild der hinreißenden Schönheit schien in ihr Gehirn eingebrannt, und sie fand es keineswegs erfreulich. Unerklärlicherweise mochte sie die Frau nicht.
»Essen Sie, solange es heiß ist. Jalebis schmecken nicht, wenn sie kalt sind.« Eine Berührung ihrer Hand brachte Olivia mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück, und sie wurde rot. Raventhorne deutete auf die Süßigkeiten, die er auf dem Markt für sie gekauft hatte.
Sie zwang sich zu lächeln. »Sie hätten sich nicht soviel Mühe machen sollen. Ich wollte nur meine Neugier befriedigen.« Auf dem Tisch standen noch sehr viel mehr Gerichte.
»Für mich war es keine Mühe. Ich habe nur Anweisungen gegeben. Und Sujata macht Gästen gerne eine Freude.«
Aus irgendwelchen Gründen schien er entschlossen zu sein, seine Geliebte immer wieder ins Spiel zu bringen. Vielleicht lag es daran, daß Olivias Verwirrung unübersehbar war. Ihm machte das bestimmt ein teuflisches Vergnügen. Olivia ärgerte sich nicht nur über sein mangelndes Taktgefühl, sondern auch darüber, daß sie sich ärgerte. Was ging es sie an, wen er sich für sein Bett aussuchte? Sie bedauerte noch einmal ihre unüberlegte Entscheidung, zu bleiben. Aber jetzt ließ sich nichts mehr daran ändern. Das Essen war jedenfalls köstlich.
»Mit welchem Ziel läuft Ihr Schiff heute nachmittag aus?« fragte sie, um das lange Schweigen zu brechen. »Kanton?«
»Nein. Ich habe den Chinahandel aufgegeben.«
Das hatte sie natürlich bereits gehört. »Aber verspricht der Chinahandel nicht die größten Reichtümer?«
»Ich bin reich. Ich habe kein Bedürfnis nach noch mehr Reichtum.«
»Im Geschäftsleben hat man doch sicher immer das Bedürfnis danach!«
»Dann geben wir uns damit zufrieden, daß ich mich in meinen Bedürfnissen von anderen unterscheide. Geld ist nur ein Mittel und kein Endzweck.«
»Und der Endzweck?« Sie sah ihn verstohlen an und stellte fest, daß er sich plötzlich nicht mehr wohl fühlte. Die aufgestaute Spannung, die sie auch an jenem Abend am Fluß gespürt hatte, machte ihn unruhig. Er erhob sich, ging zum Fenster und stand dort mit dem Rücken zu ihr als dunkle Silhouette im Licht.
»Das sichere Überleben in einer Umgebung, die in hohem Maße feindselig ist.«
Olivia richtete sich langsam auf. Das Essen war im Augenblick vergessen. Sie dachte wieder an die ›fixen Ideen‹, über die der Maharadscha vielleicht richtigerweise nicht weiter gesprochen und die er auch nicht beim Namen genannt hatte. »Aber ist die Umgebung nicht feindlich, weil Sie in Ihrem Eigensinn alle darin bestärken?«
Er kam zurück und setzte sich, immer noch erregt: »Eigensinn ist ein Privileg, das ich mir erworben habe, Miss O’Rourke. Es ist ein sehr geringer Lohn, und ich habe dafür sehr hart gearbeitet. Sie werden mir einen so kärglichen Gewinn doch sicher nicht verübeln?« In einem plötzlichen Stimmungsumschwung kniff er die Augen zusammen. »Sagen Sie mir – was bietet Ihr Onkel Arvind Singh für seine Kohle? Womit will er ihn bestechen?«
Der plötzliche Wechsel nahm ihr den Atem. Aber sie erwiderte einigermaßen ruhig: »Davon weiß ich nichts. Selbst wenn ich es wüßte, wäre es kaum wahrscheinlich, daß ich es Ihnen sagen würde. Außerdem, warum sollte er zu Bestechung greifen müssen, um die Kohle zu bekommen?«
»Er wird die Kohle weder mit noch ohne Bestechung
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