Wer Liebe verspricht
hart zu sein. Er war sogar zu unvermutetem Charme fähig. Olivia wußte nicht so recht, ob ihr das gefiel, denn er brachte sie schon wieder in Verlegenheit. »Da ich Sie kaum kenne, Mr.Raventhorne, stellt sich die Frage, ob ich Ihnen glauben soll, und ich meine – besser nicht«, erklärte sie kühl und würdevoll.
»Aber nach all den Fragen, die Sie Arvind Singh gestern abend gestellt haben, kennen Sie mich inzwischen vielleicht besser als beim letzten Mal.«
Es kostete Olivia große Mühe, die Fassung zu bewahren. Sie hatte den Maharadscha erst vor einigen Stunden kennengelernt – und er wußte bereits davon? Gegen ihren Willen bekam sie Respekt vor den Kanälen, die den allgegenwärtigen Klatsch verbreiteten. Irgendwie hatte sie aber auch das Gefühl von Verrat. »Hat Ihnen das der Maharadscha gesagt?« fragte sie verlegen.
»Nein. Arvind Singh ist trotz all seiner Sünden ein Gentleman. Ich habe andere Quellen.«
Zu Olivias großer Erleichterung wurden sie in diesem Augenblick abgelenkt und konnten das Thema nicht weiter verfolgen. Einer der beiden Männer, die sie im Hof empfangen hatten, erschien im Raum und sprach kurz mit Raventhorne. Da sich seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge richtete, konnte Olivia ihn genauer betrachten. Ja, seine Haut war hell unter der ledrigen Bräune und rechtfertigte den Eindruck, er sei ein Europäer. Die merkwürdigen Augen wirkten selbst jetzt, während sie sich auf den Diener richteten, ruhelos. In ihnen brannte ein glühendes inneres Feuer. Die dichten, schwarzen und offenbar unbändigen Haare fielen ihm in einem wirren Durcheinander gelockter Wellen in den Nacken. Die schmalen Lippen – ein glatter Schnitt in dem rasierten Gesicht – verrieten Rücksichtslosigkeit. Aber die Adlernase und die breite hohe Stirn gaben ihm ein fast aristokratisches Profil. Wenn es stimmte, daß Kleider Leute machen, so gehörte Jai Raventhorne ganz bestimmt nicht zu denen, die darauf setzten. Er widmete seiner Kleidung wenig Aufmerksamkeit. Das weiße Hemd steckte lässig in einer schlichten schwarzen Hose, die von einem schwarzen Ledergürtel mit Silberschnalle gehalten wurde. Und doch besaß dieser Mann eine solche Ausstrahlung, daß sie durch seine Kleidung weder verstärkt noch geschwächt wurde. Olivia wußte bereits, daß er sprunghaft und lebhaft war. Auch jetzt hatte er wieder etwas an sich, das dazu bestimmt zu sein schien, anderen ein unbehagliches Gefühl zu geben. Sie zweifelte nicht daran, wenn sie ihm das gesagt hätte, wäre er höchst zufrieden gewesen, denn seine Absonderlichkeit in dieser Hinsicht kannte keine Grenzen.
Der Diener ging, und Raventhorne warf einen Blick auf seine Uhr, die mit einer Kette und einer Klammer am Gürtel befestigt war. »Offenbar gibt es ein Problem mit einem meiner Schiffe, das mit der Nachmittagsflut auslaufen soll. Ich muß in Kürze gehen.«
Es schien keineswegs Raventhornes Vorrecht zu sein, an Absonderlichkeiten Vergnügen zu finden, denn bei dem Gedanken an einen baldigen Abschied empfand Olivia seltsamerweise Enttäuschung.
»In diesem Fall möchte ich Sie nicht aufhalten …«
»Ich habe ›bald‹ gesagt«, unterbrach er sie freundlich, »aber nicht so bald. Für ein Frühstück ist immer noch Zeit.« Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schloß die Augen beinahe völlig. »Weshalb haben Sie Angst vor mir?«
»Angst? Sie schmeicheln sich!«
»Nun gut. Dann sind Sie nur nervös. Ich versichere Ihnen, es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Es ist unwahrscheinlich, daß einer von uns beiden Ihren vornehmen Verwandten von diesem Zusammentreffen berichtet! Ich habe keine weiteren Botschaften zu überbringen.« Er gab sich keine Mühe, seine Belustigung und seinen Spott zu verbergen.
»Es freut mich, das zu hören.« Olivia erwiderte den Spott mit Sarkasmus, aber daß er offenbar die Fähigkeit besaß, ihre Gedanken lesen zu können, ärgerte sie. »Sind Sie außerdem noch Musiker?« fragte sie und deutete auf die Musikinstrumente in der Ecke. So wechselte sie ein Thema, das ihr zu persönlich war.
»Außer was?«
»Außer … was immer sonst Sie sein mögen.« Sie vermied sorgsam das Wort Tee-Exporteur, denn dadurch wäre ihm bestimmt klar geworden, daß sie sich ausführlich nach ihm erkundigt hatte.
»Die derzeit beliebtesten Bezeichnungen sind Schurke, Scharlatan, moralisch verkommenes Subjekt, Wüstling und skrupelloser Betrüger – aber das ändert sich immer wieder.«
Es fiel Olivia schwer, nicht zu
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