Wer Liebe verspricht
drängten sich zwischen Bergen von Schiffskoffern, Reisetaschen, Holzkästen, Blechkisten, Leinensäcken, Bettzeugrollen, Möbeln und immer mehr Frachtgut von dem am Nachmittag angekommenen Schiff. Es herrschte ein unglaublicher Lärm. Alle redeten gleichzeitig, und die Hafen- und Zollbeamten konnten nur mit Mühe Ruhe bewahren, als sie ein Dutzend Fragen gleichzeitig beantworten sollten. Kulis mit mahagonifarbiger Haut und nur mit Lendentüchern bekleidet feilschten erregt, als die Boote immer neue Passagiere zum Kai brachten.
»Ach, welch ein wundervoller Zufall! Sind Sie auch hier, um die Armen zu empfangen, die aus der guten, alten Heimat kommen?«
Olivia und Estelle drehten sich um und sahen den dümmlich lächelnden Freddie Birkhurst vor sich. »Nein«, erwiderte Estelle, »aber Sie, wie wir wissen.«
Freddie zog die Mundwinkel nach unten. »Ja, das stimmt. Die Mater wird in Kürze an Land gehen und den ungeratenen Sohn unter ihre Fittiche nehmen. Sie müssen beide demnächst zum Mittagessen kommen, um sie kennenzulernen.«
Die Cousinen murmelten etwas Höfliches. Dann fragte Olivia: »Das ist nicht Lady Birkhursts erster Besuch in Indien, nicht wahr?«
»Guter Gott, nein. Mutter kennt Indien sehr gut. Sie hat jahrelang hier gelebt, als der Pater seinen Teil für das Reich getan – und sich seinen Teil dafür genommen hat.« Er wurde noch mißmutiger. »Sie müssen wissen, Mutter ist ein zähes altes Rhinozeros. Sie blüht in diesem verwünschten Land auf wie eine Primel.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mr.Birkhurst«, sagte Estelle fröhlich. »Olivia wird Sie wieder aufmuntern. Sie kann es kaum erwarten, Ihre Mutter kennenzulernen.«
»Wirklich, Miss O’Rourke?« fragte er überrascht. »Wenn es so ist, würden Sie uns dann die Ehre geben und am nächsten Sonntag im Tolly Club mit uns zu Mittag essen? Dort wird ein wirklich aufregendes Polospiel stattfinden. Natürlich werde ich Mutter bitten, sofort Lady Bridget zu schreiben.« Seine Laune besserte sich sichtlich.
Olivia kochte vor Wut, aber Estelle war noch nicht fertig. »Ein Polospiel? Wie faszinierend! Olivia hat erst gestern geklagt, wie wenig sie über dieses Spiel weiß. Dabei schwärmt sie für Polo.«
Freddie war so glücklich, daß er dunkelrot wurde. »Es wäre mir eine Freude … äh … eine Ehre, Ihnen das Spiel erklären zu dürfen, Miss O’Rourke! Wollen wir also dann nächsten Sonntag wie besprochen gemeinsam zu Mittag essen?«
»Ach, würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen?«
Estelle wich dem empörten Blick ihrer Cousine aus. »Ich glaube, ich habe gerade Charlotte gesehen, und ich muß unbedingt etwas mit ihr …« Sie winkte und verschwand.
Olivia konnte ihr unmöglich sofort folgen, ohne unhöflich zu erscheinen. Unter dem anbetenden Blick von Freddies Stachelbeeraugen versank sie in mißmutiges Schweigen. Er hustete und räusperte sich. »Miss O’Rourke, … äh … Olivia, ich habe so … äh … auf eine Gelegenheit gewartet, um äh …«, er fuhr mit dem Finger an der Innenseite seines Kragens entlang, »mich bei Ihnen vielmals für meine bedauerliche … äh … Entgleisung, jawohl Entgleisung, bei den Pennyworthys zu entschuldigen. Ich hätte Ihnen schreiben sollen, aber ich hatte nicht den … äh … Mut. Finden Sie mein Verhalten und mich abscheulich?«
Er wirkte so zerknirscht, daß es Olivia schwerfiel, ihn nicht zu bedauern. »Nein, natürlich nicht. Ich hatte das alles bereits vergessen.« Sie lächelte so freundlich wie möglich.
Es war, als habe sich für Freddie der Himmel geöffnet. »Ja? Oh, ah, großartig, großartig! Ich möchte nicht um alles in der Welt, Miss O’Rourke … Olivia, daß Sie schlecht von mir denken. Ich …«
»Ich denke keineswegs schlecht von Ihnen, Mr.Birkhurst. Ich verspreche Ihnen …« Sie sah sich verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit um, die sich absolut nicht zu bieten schien. Innerlich verwünschte sie ihre Cousine. Aber dann griff das Schicksal ein.
»Ver … ich glaube, ich habe die Mater entdeckt …« Er drückte Olivia fest die Hand. »Ich gehe jetzt besser. Dann bis Sonntag. Ich kann es kaum erwarten.« Er eilte davon.
Erst als die beiden wieder in der Kutsche saßen, konnte Olivia ihrem Ärger Luft machen. Estelle blieb jedoch ganz gelassen. »Meine liebe, liebe Oli, du bist jetzt ganze zweiundzwanzig Jahre alt, und Freddie Birkhurst ist nicht nur der beste Fang in der Stadt, sondern er liebt dich abgöttisch …«
»Es
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