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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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Anspannen der Kiefermuskeln und das beinahe unmerkliche Steifwerden des Rückens waren die einzige Reaktion. »Ich glaube nicht daran, daß man den Tod verkaufen soll«, sagte er knapp.
    Das Geständnis schockierte Olivia ebenso wie der Hinweis auf moralische Skrupel. Ihr blieb jedoch keine Zeit mehr, nach den Kisten mit dem verdorbenen Tee zu fragen, wie sie wegen der günstigen Gelegenheit eigentlich vorhatte, denn plötzlich wirkte er nicht mehr locker und freundlich, sondern sehr wachsam. Selbst die Augen bewegten sich nicht, als er regungslos lauschte. Der Mahout sah ihn an, und Raventhorne nickte kaum merklich.
    Olivia wurde erst jetzt bewußt, daß inzwischen eine gespenstische Stille über dem Dschungel lag. Die vor kurzem noch lärmenden Affen über ihren Köpfen drängten sich eng zusammen und drückten sich stumm gegenseitig die Gesichter ins Fell. Ein Rudel fliehender Axishirsche kam ihnen entgegen und verschwand mit großen Sätzen zwischen den Bäumen. Selbst eine Schar orange- und lilafarbener Schmetterlinge, die über einem Hibiskusbusch schwebte, änderte seine Meinung und flatterte aufgeregt davon. Die Trommeln, die gerade eben noch so drängend und wild geschlagen hatten, waren verstummt. Kein Blatt raschelte. Kein Insekt regte sich. Die Luft schien erstarrt zu sein. Dann drang ein Laut an ihr Ohr, der wie ein leises unterirdisches Grollen aus den Eingeweiden des Dschungels zu kommen schien und wurde zum lauten Gebrüll. Es war der Tiger. Offenbar hatten ihn die Treiber auf einer Lichtung eingekreist, die er, ohne es zu ahnen, nie mehr verlassen würde. Sein Ende stand dicht bevor.
    Olivias Herz klopfte wild. Es war unmöglich, von der unerträglichen Spannung des Augenblicks nicht angesteckt zu werden. Raventhorne verließ seinen Platz und kletterte in die Howdah. Er überprüfte noch einmal sein Gewehr und warf einen schnellen Blick auf das Gestell, in dem sich noch andere Büchsen befanden. Im Halfter an seiner Hüfte steckte der Revolter, den Samuel Colt erst im Vorjahr entwickelt hatte. Olivia wußte, zu Hause war das eine beliebte und begehrte Waffe. Flüchtig empfand sie Mitgefühl mit dem zum Tode verurteilten Tier. Der Tiger hatte angesichts dieser großen Übermacht kaum Überlebenschancen. Langsam und unaufhaltsam näherte sich der Zug der Lichtung am Flußufer, wo man im Morgengrauen sechs Ziegen als Köder festgebunden hatte. Die Treiber waren alle verschwunden und warteten im sicheren Unterholz in einiger Entfernung vom Fluß. Zurück blieben nur die vier Elefanten und ein Kreis von Männern mit Vorderladern und wurfbereiten Speeren. Raventhorne bedeutete Olivia mit einer stummen Geste, daß sich irgendwo im hohen Gras ihre gefährliche Beute befand.
    Die Elefanten verteilten sich und bildeten einen Halbkreis. Plötzlich berührte Raventhorne leicht Olivias Arm und nickte in Richtung einiger Felsen zwischen niedrigen Bambusstauden. Das Grün umgab eine verschwommene, undeutlich ockergelbe Form – und Olivia stockte der Atem. Dort kauerte der bengalische Königstiger, das majestätischste, gefürchtetste Raubtier des indischen Dschungels. Er hatte sich so geschickt verborgen, daß nur das geübte Auge eines Jägers ihn inmitten all der natürlichen Farben entdecken konnte. Olivia sah, daß er eine der Ziegen gerissen hatte. Er wartete jetzt nur darauf, zu der Mahlzeit zurückzukehren, die ihm so mühelos zugefallen war. Raventhorne zog fragend die Augenbraue hoch und blickte auf sein Gewehr. Olivia schüttelte erschrocken den Kopf. Es war eine Sache, einen Rehbock oder einen Bison zu schießen, aber eine ganz andere, es mit einem Tier aufzunehmen, das sie noch nie gesehen, geschweige denn gejagt hatte. Er zuckte die Schultern, lächelte und wandte sich sichtlich enttäuscht ab.
    Eine Zeitlang bewegte sich niemand. Der Tiger war immer noch halb hinter den Felsen verborgen, und es wäre unklug gewesen zu feuern. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber es konnten nicht mehr als zehn Minuten vergangen sein, bis er es wagte, sich zu bewegen. Vorsichtig schlich er geduckt in Richtung der toten Ziege. Dabei mußte er eine freie Stelle zwischen zwei Felsen überqueren und war plötzlich in seiner ganzen Majestät sichtbar. Im selben Augenblick knallte ein Schuß: Es war der Maharadscha. Er hatte das Privileg, als erster zu feuern, aber er verfehlte sein Ziel. Der Tiger sprang in die Luft, und sein wütendes Gebrüll drang wie Kanonendonner durch den Dschungel.
    »Verdammt!« schrie der

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