Wer Liebe verspricht
den Maharadscha, die Maharani und ihre beiden Gäste wurde im kühlen Speisezimmer des Pavillons serviert. Die würzigen Fleischgerichte auf lockerem weißen Reis schmeckten köstlich. Olivia war es gewohnt, Wild zu essen. Es war oft die einzige Nahrung gewesen. Aber die scharfen indischen Gewürze machten das Fleisch besonders delikat. Sie aßen mit den Fingern. Kinjal zuliebe kreiste das Gespräch während der Mahlzeit hauptsächlich um die Jagd. Der Maharadscha war bester Laune. Er erzählte ihnen Geschichten von früheren Abenteuern auf der Jagd, und es herrschte eine heitere Stimmung.
Nach dem Essen gab es Süßigkeiten, die von Dorfbewohnern gebracht worden waren. Plötzlich fragte der Maharadscha: »Was gibt es so Dringendes, daß Sie so schnell nach Kalkutta zurück müssen,. Jai? Sie könnten die Abreise doch sicher bis morgen verschieben?« Es klang verstimmt. »Ich hatte mich schon auf das übliche Schachspiel heute abend gefreut.«
Raventhorne schüttelte den Kopf. »Heute nicht, Arvind. Ich habe wichtige Angelegenheiten zu erledigen.«
»Was für wichtige Angelegenheiten?« fragte der Maharadscha stirnrunzelnd.
»Nun ja, da ist zum einen diese Lieferung. Khan ist ein gerissener Kaschmiri, und ich weiß, daß er mit Smithers verhandelt hat.«
»Dann lassen Sie doch Smithers diese Runde gewinnen. Was macht das schon? Sie haben ihn oft genug ausgestochen.«
Raventhorne lächelte. »Eine Runde ist eine zuviel.«
Der Maharadscha hob gereizt die Hände. »Jai, müssen Sie denn immer wie ein Hund sein, der einen Knochen hat? Können Sie nicht auch einmal loslassen, nur ein einziges Mal?«
Raventhorne stand auf. »Ich fürchte, Arvind, wenn ich loslasse, verliere ich mit dem Knochen auch die Zähne«, sagte er unbekümmert.
»Kann ich jetzt Ihr neues amerikanisches Gewehr sehen? Ich muß spätestens in einer Stunde aufbrechen.«
Kinjal zog sich in ihr Zimmer zurück. Olivia stand an der Verandabrüstung und blickte auf das Treiben vor dem Pavillon, ohne viel davon zu sehen. Ihre zwiespältigen Gefühle beunruhigten sie wieder: Einerseits empfand sie Raventhornes Anwesenheit als schrecklich unangenehm, andererseits war sie bitter enttäuscht, weil er schon aufbrach! Dann fragte sie sich kopfschüttelnd: Was will ich eigentlich? Zum ersten Mal in ihrem Leben stand Olivia vor einem scheinbar unentwirrbaren Knoten, vor einem Problem, für das es keine einfachen Antworten gab. Ihr war unverständlich, daß dieser widersprüchliche, undurchsichtige, unbeständige Mann eine solche Faszination auf sie ausübte, denn er verkörperte alles, was sie ablehnte. Ihre Vernunft erlaubte nicht, daß sie etwas an ihm bewunderte. Doch die Aussicht, ihn nie mehr zu sehen, war unerträglich, durfte nicht Wirklichkeit werden. Und Olivia wußte im Grunde ihres Herzens, so sicher wie die Sonne am nächsten Morgen aufging, würde sie Jai Raventhorne wiedersehen …
Bahadur, der Diener, der sie an jenem Morgen, seit dem soviel geschehen war, nach Hause begleitet hatte, führte gerade Raventhornes Rappen Schaitan auf die Lichtung. Plötzlich überkam Olivia die absurde Furcht, sie könnte versäumen, ihn zu verabschieden. Ohne zu überlegen, eilte sie die Treppe hinunter. Das Bedürfnis, ihn noch einmal zu sehen, noch ein paar bedeutungslose Worte mit ihm zu wechseln, war so heftig, beinahe so schmerzhaft, als habe ihr jemand einen spitzen Haken in die Seite gestoßen. Dann kam sie sich albern vor und bedauerte ihre Unüberlegtheit. Sie blieb hinter einem Baum stehen, denn der Rückzug war ihr bereits abgeschnitten. Raventhorne kam die Treppe herunter, ging zu seinem Pferd und hatte bereits einen Fuß im Steigbügel, als er sie sah. Er ließ die Zügel wieder los und schlenderte zu ihr herüber.
»Ich habe gehört, die Templewoods wollen für einige Zeit nach Barrackpore fahren.«
Es war sinnlos vorzugeben, sie sei überrascht. »Ja, es ist im Gespräch. Meine Tante ist der Ansicht, mein Onkel muß sich erholen von …«
»Von seinem Pech? Ja, das glaube ich gern.« Mit veränderter Stimme fragte er: »Und Sie wollen Ihre Verwandten nicht begleiten?« Er sprach etwas aus, das sie bisher nur als unbestimmte Vorstellung beschäftigte. Jetzt wurde ihr jedoch bewußt, daß Raventhorne recht hatte: Sie wollte nicht nach Barrackpore fahren! »Natürlich will ich sie begleiten!« widersprach sie unnötig heftig. »Weshalb sollte ich es denn nicht wollen? Ich habe gehört, Barrackpore ist ein sehr angenehmer Ort.«
»Angenehm
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