Wer Liebe verspricht
Mischling, denn unter dem Schmutz wirkte seine Haut ungewöhnlich hell. In Indien gibt es zahllose uneheliche Mischlingskinder, die von ihren Vätern vergessen werden. Der Junge wirkte verschlossen und abweisend. Trotzdem fand der Maharadscha ihn ungewöhnlich.
Er rief ihn zu sich und erkundigte sich nach seinem Namen. Der Junge antwortete mit sichtlichem Widerwillen: »Ich heiße Jai«, ganz als habe ihn die Frage beleidigt, und weigerte sich trotzig, weitere Fragen zu beantworten. Die stumme Würde und der jämmerliche Zustand des Kleinen weckten das Mitleid des Maharadscha, und er wollte ihm eine Handvoll Münzen schenken. Die Reaktion des Jungen versetzte ihn in Staunen. Er richtete sich stolz auf und seine seltsamen Augen wurden vor Empörung aschgrau. »Ich nehme kein Geld, wenn ich nicht dafür gearbeitet habe«, erklärte er verächtlich, »schenken Sie es anderen, die es annehmen.«
Der Maharadscha fühlte sich nicht beleidigt, sondern war zutiefst beeindruckt. Diesen leidenschaftlichen Stolz fand man selten bei jemandem, der es sich nicht leisten konnte. Von diesem Tag an kam der Maharadscha jedesmal in das Gasthaus, wenn er in der Nähe war. Er beging nicht noch einmal den Fehler, dem Jungen Geld anzubieten, sondern bemühte sich darum, sein Vertrauen zu gewinnen. Im Verlauf von vielen Monaten entwickelte sich zwischen dem Fürsten und dem Tellerwäscher eine seltsame Freundschaft. Jai wurde zugänglicher, aber er lächelte nur selten und sprach nie über sich. Er stellte jedoch viele Fragen – meist über Schiffe, das Meer und die Welt draußen. Der Maharadscha bot ihm eine Stellung in Kirtinagar an oder eine Ausbildung an einer Schule seiner Wahl. Er mochte den Jungen, zweifelte nicht an seiner Intelligenz und wollte ihm eine Möglichkeit geben, seine Fähigkeiten zu entwickeln. Aber Jai lehnte alle Angebote ab. »Was willst du denn mit deinem Leben anfangen, Jai?« fragte der Maharadscha eines Tages kopfschüttelnd angesichts dieser unerklärlichen Hartnäckigkeit. »Möchtest du tagein, tagaus das schmutzige Geschirr anderer waschen?«
Diesmal schwieg der Junge nicht trotzig wie üblich, sondern erwiderte: »Nein, ich will der reichste Mann der Welt werden. Und das werde ich eines Tages auch sein.« Er sagte das so leidenschaftslos, als sei es eine sachliche Feststellung.
»Das ist ein verständlicher Ehrgeiz«, erwiderte der Maharadscha ebenso ernsthaft, obwohl er ein Lächeln unterdrücken mußte, »aber dann solltest du bald einmal damit anfangen.«
Der Junge sah ihn überrascht an. »Anfangen? Aber das habe ich doch schon getan!«
»Gewiß, aber du brauchst … Hilfsmittel, um im Leben voranzukommen.«
Jai streckte die Hände aus. »Das habe ich. Das und«, er berührte seine Stirn, »und das.«
»Damit bist du zweifellos bestens ausgestattet«, erwiderte der Maharadscha freundlich, »wenn du allerdings dein Leben lang Geschirr wäschst, wirst du nie reich.«
»Nein«, stimmte der Junge zu, »aber das werde ich auch nicht tun.«
»Und was willst du tun?«
Der Maharadscha hatte ihnen später erzählt, daß Jai auf diese Frage lange schwieg. Ein seltsam entrückter Blick trat in seine Augen, als befinde er sich in einer anderen Zeit. Dann lächelte er, schien vor Zufriedenheit beinahe wie eine Katze zu schnurren, und sagte: »Ich werde mein Schicksal erfüllen.«
Die aschgrauen, verschlossenen Augen wirkten plötzlich unbeschreiblich häßlich. Aus ihnen sprach eine so fanatische Bosheit, daß der Maharadscha erschrak. Aber keine noch so behutsamen oder eindringlichen Fragen brachten den Jungen dazu, mehr zu sagen. Er hüllte sich in Schweigen, und der Blick verschwand so schnell, wie er gekommen war. Der Maharadscha beließ es dabei und verschob weitere Fragen auf das nächste Zusammentreffen. Als er nach zwei Monaten wieder in dem Gasthaus erschien, war der Junge nicht mehr da. Niemand wußte etwas über ihn. Auch der Wirt konnte keine Auskunft geben. Heimatlose und namenlose Kinder gebe es in Indien mehr als genug. Er habe bereits einen anderen für die Arbeit gefunden. Im Gasthaus erzählte man sich jedoch, Jai, der Junge mit den grauen Augen, sei an Bord eines Schiffes gegangen.
An dieser Stelle der Geschichte machte die Maharani eine Pause. Einen Augenblick herrschte Stille. Olivia hatte wie gebannt zugehört. Nun lehnte sie sich auf dem Polster zurück und blickte zu den Sternbildern hinauf, die über den klaren, wolkenlosen Himmel nach Westen wanderten. Sie bewegte sich nicht.
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