Wer Liebe verspricht
abstoßend.«
War das eine Lüge? Im Widerspruch der wahren Gefühle fühlte Olivia, wie unsicher sie war. Jai Raventhorne war ein schrecklicher Mann und konnte sie unmöglich bereits erobert haben. War vielleicht nur ihre blühende Phantasie schuld an dieser albernen und krankhaften Aufgeregtheit?
Zu Olivias Erleichterung fand sich keine Gelegenheit mehr, über Jai Raventhorne zu sprechen.
*
»Du hast einen Anna für die Avocados bezahlt?«
»Einen Anna.«
»Und du behauptest, zwei Hühner gekauft zu haben? Ich habe in der Mulligatawny-Suppe gestern abend nur zwei Schenkel gesehen!«
Einfachere Sterbliche wären unter Lady Bridgets bohrenden Blicken vermutlich im Boden versunken, aber Babulal ließ sich nicht erschüttern. » Zwei Hühner, vier Schenkel«, erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken, und warf einen anklagenden Blick auf Estelle, die offenbar mit großer Hingabe einen der schrecklichen Groschenromane las, die im Kreis ihrer Freundinnen von Hand zu Hand wanderten.
Lady Bridget ließ den Kopf sinken. Sie zog sich von diesem Gefecht zurück, um sich einem anderen zuzuwenden. Sie legte die Hand auf das Haushaltsbuch und startete einen neuen Angriff. »Ich habe vor noch nicht drei Wochen zwei Dutzend Staubtücher gekauft. Willst du mir sagen, daß vierundzwanzig brandneue und feste Tücher …?«
Olivia saß in einer Ecke mit der ersten Post von ihrem Vater und verschloß energisch die Ohren vor den täglichen Streitereien. Inzwischen war sie sicher, daß die erbitterten Kämpfe über Einkaufsrechnungen den Memsahibs in Kalkutta größtes Vergnügen machten. Die Siege und vernichtenden Niederlagen waren das beherrschende Thema der ewigen Burra Khanas. Die meisten Engländerinnen verachteten ihr Personal, obwohl sie ohne die Dienstbotenscharen nicht zurechtkommen würden. Aber Lady Bridgets Abneigung gegen alle, die in dem großen Dienstbotenquartier hausten, überstieg jedes Maß. Das Personal war zahlreich. Es gab Diener, Abdares, Khidmatgars, Gärtner, Kutscher, Chowkidars, Punkahwallahs, Wasserträger, Küchenjungen, Stallburschen und die beiden Ajas. Und alle hatten ständig wachsende Familien. Von Zeit zu Zeit bekam jeder Diener Lady Bridgets scharfe Zunge zu spüren und, wie Olivia gehört hatte, auch Sir Joshuas Reitpeitsche, wenn er schlechter Laune war. Olivia fand diese Situation schrecklich, aber sie konnte an den alten Vorurteilen und Einstellungen nichts ändern und mischte sich deshalb nur selten ein.
Estelle dagegen war eine so taktvolle Zurückhaltung fremd, und als Babulal das Zimmer verlassen hatte, sagte sie schnippisch: »Mama, warum haben wir so viele Dienstboten, wenn du sie so schrecklich findest? Vermutlich doch nur, weil du nicht auf sie verzichten kannst!«
» Du kannst es natürlich …! Sei gefälligst still, solange du dein Zimmer nicht in Ordnung halten kannst. Du wirst schon sehen, wenn du einmal einen eigenen Haushalt hast. Dann verstehst du erst, was ihre Diebstähle und Frechheiten bedeuten. Dann wirst du noch an mich denken …«
Olivia sah, daß Estelle offenbar Streit suchte, und wollte die beiden schnell ablenken. »Papa läßt alle herzlichst grüßen. Er sagt, das Wetter auf den Inseln sei wundervoll, auch wenn der Gestank nach Lebertran es nicht ist. Er ist noch immer auf dem Walfänger.«
Lebertran! Lady Bridget rang um ihre Fassung. Sie murmelte: »Wie freundlich von Sean. Erwidere die Grüße, wenn du ihm antwortest.«
Sie klappte energisch das Haushaltsbuch zu und verließ den Platz am Sekretär. »Es freut mich, daß dir das Wochenende gefallen hat und die Maharani nicht allzu langweilig war. Aber ich finde es merkwürdig, daß keine anderen europäischen Gäste anwesend waren. Normalerweise sind diese Jagden der reinste Zirkus.« Sie runzelte die Stirn, denn sie hatte es immer noch nicht verwunden, daß Josh ihre sorgfältig ausgearbeiteten Birkhurst-Pläne durchkreuzt hatte. »Ich hoffe, dieser Mensch hat soviel Anstand besessen, dir seinen Harem zu ersparen!«
»Wenn Arvind Singh einen Harem hat, dann habe ich nichts davon gesehen!« antwortete Olivia lachend. »Er scheint mir nicht diese Art Mann zu sein!«
»Das sind sie alle! Glaubst du, die Ehe ist Menschen heilig, die Witwen auf dem Scheiterhaufen verbrennen?«
»Also Mama, bei den Haworths habe ich zum Beispiel wenig von der Heiligkeit der Ehe gemerkt«, warf Estelle ein. »Jeder weiß, was sie mit Bill Corliss treibt, wenn er ihr einmal die Woche das Klavier stimmt, und es ist
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