interessiert. »Und wohin bist du danach gegangen?«
»Warum willst du das wissen?« Vicky war misstrauisch geworden.
»Na, hier ist die Brille doch auch nicht, oder? Also müssen wir weitersuchen. Wir können dir helfen.« Ich lächelte süß. Mir war schon klar, dass wir auf dieser Insel keine Sonnenbrille von Vicky finden würden, außer vielleicht in Vickys Gepäck. Aber jetzt wollte ich sie testen.
»Danach war ich an dem Strand mit der großen Weide, dann im Eichenwald und zum Schluss am Steg.« Vicky zuckte gespielt verzweifelt mit den Schultern. »Ich war also fast überall. Wenn wir das jetzt alles absuchen, wird es dunkel. Vielleicht verschiebe ich das auf morgen.«
»Warte, noch mal kurz zum Mitdenken. Du warst zuletzt am Strand. Und dann, wie war noch die Reihenfolge?«
»Zuletzt am Strand, dann am Steg, danach im Eichenwald und zum Schluss hier«, seufzte Vicky.
»Ach, komisch.« Ich machte eine Kunstpause. »Eben war die Reihenfolge aber noch anders.«
»Ist doch egal«, schnaubte sie.
»Überhaupt nicht«, erklärte ich. »Wenn wir versuchen wollen, dieselben Wege zu gehen wie du heute früh, dann ist die Reihenfolge sogar ziemlich wichtig.«
»Ich hab doch schon gesagt: Ich suche die Brille morgen.« Sie verdrehte die Augen, aber sie wirkte unsicherer als eben.
»Okay.« Ich grinste breit. »Übrigens, Vicky, du hast da Brillenabdrücke auf deiner Nase.«
Betreff: Ah, jetzt ja – eine Insel!
Datum: 13.06., 21:11 Uhr
Von: Tom Barker <
[email protected] >
An: Felix von Winning <
[email protected] >
Hi!
Neues von der Insel …
Bye,
Tom
Im Bild sieht man ein Boot an einem Sandstrand. Jemand hat es umgedreht und an einem Ende auf einen Holzbalken aufgelegt, sodass es eine Art Dach bildet. Darunter schimmert roter Stoff.
»Hi Felix!«, sagt Tom aus dem Off. »Was du hier siehst, wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Boot. Tatsächlich handelt es sich dabei um Lilias neues Zuhause. Sie ist nämlich gleich am ersten Abend aus unserem Haus ausgezogen und hat sich unter diesem Boot eine Schlafhöhle eingerichtet. Die Luft ist rein, Lilia ist rüber zum Essen gegangen, und daher kann ich dir das mal kurz zeigen.« Tom filmt mit der Kamera in dieHöhle hinein. Da liegen eine Iso-Matte und ein Schlafsack. Daneben sieht man eine Taschenlampe und ein Buch. Außerdem liegen neben dem Lager ein paar dicke Wollsocken und mehrere Schokoladentafeln in einer durchsichtigen Tüte, die sorgfältig mit einem Gummi verschlossen ist. Tom zieht sich mit der Kamera wieder zurück und filmt jetzt den Strand. Überall im Sand stehen Plastikflaschen, mit Wasser gefüllt.
»Das ist Lilias Trinkwasservorrat«, erklärt er. »In ihrem Survivalbuch steht, dass Wasser keimfrei wird, wenn man es in Plastikflaschen in die Sonne legt. Sie will nicht immer zum Haus laufen, wenn sie mal Durst hat, deswegen hat sie sich Seewasser abgefüllt. Ich würde das Zeug ja nicht trinken. Na, das muss sie wissen, bis jetzt geht es ihr noch gut damit.«
Tom hat die Kamera jetzt auf das Boot gelegt und sich davorgesetzt. Geistesabwesend nimmt er Sand in die Hand und lässt ihn durch seine Finger rieseln, als er weiterspricht. »Wir sehen Lilia nur noch zum Essen. Es ist fast, als wäre sie gar nicht hier. Gestern war sie nicht mal bei dem Spieleabend dabei, den Maiken und Helge organisiert haben. Sie wollte lieber allein am Strand die Sterne anschauen. Für sie ist das eine Art Freilandexperiment, sagt sie. Sie will an ihre eigenen Grenzen gehen und herausfinden, ob sie nachts mit der Einsamkeit klarkommt. In der ersten Nacht war Maiken noch hier, aber jetzt will sie es ganz allein schaffen. Ich finde das okay. Sie ist viel ruhiger geworden, seit sie in der Natur lebt, fast so wie früher. Sie streitet sich nicht mal mehr mit Vicky und wenn das so weitergeht, werden die beiden noch Freundinnen. Eben wollte Lil sogar Vickys Sonnenbrille suchen, obwohl sie das Abendessen verpasst hatte und fast verhungert wäre.
Die anderen finden Lilias Alleingang auch okay. Jeder wie er mag, das ist die vorherrschende Meinung. Nur Fritzi sieht das anders. Die meckert dauernd rum, alle Teilnehmer müssten Teamgeist zeigen, weil wir alle für die Stimmung auf dieser Insel mitverantwortlich seien und so weiter und so fort. Sie ist zum Beispiel sauer, weil Lilia nie den Mädchenschlafsaal ausfegt. Dabei schläft sie ja gar nicht im Haus. Außerdem schimpfte sie rum, weil Lilia heute das Abendessen verpasst hat und sich davor nicht entschuldigt