Wer liebt mich und wenn nicht warum
Urteil: Ich darf bleiben, muss mich aber ab sofort besonders im Team engagieren und darf nicht mehr am Strand schlafen. Die Blattläuse dürfen auch bleiben. Die Schichten bei der Auerochsenbeobachtung werden verkürzt, und zwar auf zwei Mal drei Stunden. Und dann mahnte Knut alle aus dem Team, sich kameradschaftlicher zu verhalten und niemanden zu verpetzen. Wer berechtigte Kritik an einem Kollegen habe, solle sie offen vor allen anderen äußern und nicht anonym hinter dem Rückender Betroffenen zu den Betreuern laufen. Er sah dabei nicht in Vickys Richtung, er blickte aus dem Fenster.
Als Knut mir später alles erzählt hatte, wollte ich mich bei Tom bedanken, doch der war inzwischen zum Campingplatz geschippert. In meiner Sweatshirt-Jacke, die in der Küche überm Stuhl hing, fand ich einen Gruß von ihm. Da steckte ein Schoko-Marienkäfer in der Tasche, mit einem Zettel darauf: »Frisst Blattläuse«.
15.08 Uhr Vor lauter Stress hätte ich den Brief von Rosalie fast vergessen, den Tom mir beim Frühstück gegeben hat. Ich habe ihn in der Hektik in meine Hosentasche gesteckt und eben erst wiedergefunden. Hier ist er:
Liebe Lilia!
Wie get es dir? Mir get es gut.
Ich will Niklas doch nicht heiratten, weil er Papi ergert. Ich darf niemand sagen, was Niklas macht, weil ich es ihm verschbrochen habe. Aber ich mus Niklas doch nicht heiratten, wenn ich nich will, oder?
Oder ist heiratten auch ein Verschbrechen? Schreib mir das. Unt auch, ob Goltfische teuer sint.
Deine
Rosalie Kirsch
15.34 Uhr Ich bekomme Rosinchens Brief einfach nicht aus dem Kopf. Natürlich weiß ich, dass mein Vater nicht daranzugrunde gehen wird, wenn ihn ein siebenjähriger Knirps ein paar Tage lang »ergert«. Aber wenn ich daran denke, wie sehr das Rosinchen in Niklas verknallt war! Also, wenn das jetzt vorbei ist, gibt es ein echtes Problem. Rosalie ist ein sensibles Kind und wirklich beständig in ihrer Zuneigung. Niklas muss echt was verbockt haben.
Ich glaube eigentlich nicht, dass er fies zu ihr war. Aber wenn er ihren geliebten Papi geärgert und danach vielleicht sogar noch hämisch über ihn gelacht hat – so etwas kann die Rosine übelnehmen. Das bringt sie in einen Gewissenskonflikt: Soll sie lieber ein »Verschbrechen« brechen oder zusehen, wie ihr Vater »geergert« wird? Das ist genau die Art von Problemen, mit denen sie nicht klarkommt, so was macht sie krank. Sie bekommt Bauchweh und Fieber und alleine kommt sie da nie wieder raus.
Und was ist nur mit diesem verflixten Goldfisch los?
16.30 Uhr Eben war Schichtwechsel. »Irgendwas nicht in Ordnung? Du siehst ja ganz krach und schwank aus!«, ächzte Simon, als er um vier Uhr auf den Hochsitz kletterte, um mich abzulösen.
»Schon okay«, sagte ich, aber ich blieb sitzen, als er seinen Stift und seine Karten auspackte und alles hübsch ordentlich auf dem Tisch zurechtlegte. Er sah mich von der Seite an, sagte aber nichts.
»Hast du Geschwister?«, fragte ich.
»Eine Schwester.«
»Jünger?«
»So alt wie du.« Er lächelte.
»Meine ist fünf«, sagte ich. »Noch. In vier Wochen wird sie sechs. Aber sie ist schon in der Schule, sie ist ziemlich schlau.«
Er nickte und wartete, was noch kam.
»Ich habe das Gefühl, dass es bei ihr gerade nicht so gut läuft.« Ich zog Rosalies Brief aus der Hosentasche. »Das hier hat sie mir geschrieben.«
»Soll ich’s lesen?«, fragte Simon.
Ich nickte.
»Nicht gut«, sagte er, als er fertig war.
»Findest du das auch?« Ich war überrascht. Schließlich kannte er weder Rosalie noch Paps, noch Niklas.
»Ja, hier die verschmierte Tinte. Ich glaube, sie hat geweint, als sie das schrieb.«
Er hatte recht. Mir wurde ganz kalt. »Ach, die arme Muckelmaus. Am liebsten würde ich sofort nach Hause fahren.«
»Ich glaube, das wäre falsch.« Simon runzelte nachdenklich die Stirn. »Lies das doch noch mal genau. Sie bittet dich um Rat. Sie will ein paar Infos von dir, aber sie will das selbst regeln.«
»Ja. Stimmt. Und was mach ich jetzt?«
»Ruf sie an und sag ihr, dass sie dieses kleine Ekel nicht heiraten muss! Und dass Goldfische nicht teuer sind. Und ruf deinen Vater an und finde heraus, was da los ist.«
»Wir dürfen doch nicht telefonieren.«
»Jaaa.«
»Wenn mich jemand erwischt, fliege ich raus. Ich bin auf Bewährung.«
»Dann lass dich nicht erwischen.«
Ich drückte Simon einen fetten Schmatzer auf die Wange und kletterte vom Hochsitz runter.
19.30 Uhr Ich hab’s getan. Ich habe mir
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