Wer liest, kommt weiter
Astrid Lindgren.
Wenn das Kind in der Schule lesen lernt, können die positiven Folgen des Lesens noch wirksamer werden. Man kann zwei Bereiche unterscheiden: die formalen Fähigkeiten, die beim Lesen geübt und gefördert werden, und die Inhalte des Gelesenen.
Da ersteres oft übergangen wird, sollte in diesem Buch zunächst gezeigt werden, wie das Lesen unsere geistigen Fähigkeiten fördert. Der Jugendliche, der im Zug liest, muß, wenn er liest, immer denken und mitdenken (Kap. 1). Wenn ich mit ihm spreche, kann er weghören; wenn er liest, hört er dem Autor zu.
Daß das Lesen ein Zuhören ist, das in ein Gespräch mit dem Autor münden kann, ist eine für unser Thema zentrale Erkenntnis (5+6). Dazu sei noch einmal Seneca zitiert, der im 67. Brief an Lucilius versicherte: Am meisten unterhalte ich mich mit Büchern. Cum libellis mihi plurimus sermo est.
Und wenn der Jugendliche liest, lernt er, ohne es zu merken, immer etwas für seine mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit hinzu, auch weil das sprachliche Niveau von Büchern und Zeitungen fast immer höher ist als das eigene (2+3).
Wir können beim Lesen aber auch einiges für unsere sinnlichen und emotionalen Fähigkeiten hinzulernen. Beschreibungen von Sinneseindrücken verfeinern unsere eigenen Wahrnehmungen (8-10), die Schilderungen von Gefühlen wecken auch Gefühle in uns. Und daß das Lesen unterhaltsam ist und Freude bereiten kann, haben wir alle schon erfahren (11+12).
Wie sehr das Lesen zur Vermehrung unseres Wissens und unserer Erkenntnis beiträgt, war den Menschen schon in der Antike bekannt. Horaz nennt die Nützlichkeit der Lektüre (prodesse) gleichberechtigt neben der Freude des Lesens (delectare). Da seit 3000 Jahren Bücher geschrieben wurden, oft von den besten Kennern, kann man aus Büchern alles erfahren, was man erfahren will, und aus nahezu jedem Buch etwas lernen. Hier sollte vor allem gezeigt werden, wie wir beim Lesen von Büchern, aber auch Zeitungen und Zeitschriften etwas für unser Leben lernen können.
Wir können beim Lesen die Natur, die Menschen und ihre Geschichte besser kennen lernen (14-16), aber auch für unser persönliches Leben Erkenntnisse gewinnen: über Ort und Zeit, über die Tugenden und das Gute, zur Religion, zu Mitmenschlichkeit, Freundschaft und Liebe (17-21). Daß das Lesen auch zum Glück des Menschen beitragen kann, ergibt sich aus den PISA-Studien und aus soziologischen Umfragen (22).
Warum wird trotzdem immer weniger gelesen? Einerseits sind manche Vorteile des Lesens zu wenig bekannt. Andererseits sind die visuellen Medien überaus faszinierend. Unsere Neugier und Wißbegierde, unsere Lust am Schauen, schließlich unser Wunsch nach Unterhaltung sowie unser Bedürfnis nach Kommunikation und Anerkennung (24+27) werden vom Fernsehen, von den Videospielen und vor allem vom Handy und vom Internet Tag und Nacht und überall mit allen möglichen verlockenden Angeboten auf perfekte Weise bedient (25+26). Ref 104
Die Angebote sind auch deshalb so perfekt, weil es um viel Geld geht und die Anbieter immer bessere Methoden entwikkelt haben, um all unsere Wünsche anzusprechen und uns für ihre Angebote zu gewinnen, ganz nach dem Motto Der Wurm muß dem Fisch schmecken und nicht dem Angler!
Besonders betroffen von diesen Angeboten sind die Kinder, die noch leichter zu Stammkunden gemacht werden können als Erwachsene (28). In dieser Situation geben viele Pädagogen und Politiker den riskanten Rat, den Kindern möglichst früh »Medienkompetenz« zu vermitteln (29+30).
Dies empfehlen auch die Internet-Unternehmer Tanja und Johnny Haeusler in ihrem im Dezember 2012 erschienenen Taschenbuch Netzgemüse. Aufzucht und Pflege der Generation Internet, das hier noch kurz analysiert werden soll.
Beide sind bekennende Internet-Optimisten. Aber auch sie kommen nicht umhin, auf die Gefahren dieses Mediums einzugehen, die wir auch in zahlreichen anderen Büchern und Broschüren gefunden haben. Das bei weitem längste Kapitel (62 Seiten) trägt den Titel Schutzräume und Schmutzträume, seine Untertitel lauten u.a. Mobbing , Grausam(es) finden , sperma gesicht, geile nackte teenies, sexkontakte, ficken bilder, nuten [!] und Taschengeld-Diebe .
Und bei den Videospielen, die Johnny Haeusler als ehemaliger Spiele-Tester zunächst nur lobt (u.a. als Quasi-Meditation), lesen wir von den ständigen Konflikten ihretwegen in der Familie und im Hort, wo man keine Chance hatte, mit tollen Bastelangeboten gegen den
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