Wer liest, kommt weiter
außerdem noch gibt? Am 5. August 2010 publizierte nämlich ein Software-Ingenieur von Google auf der Seite »booksearch.blogspot.ch« folgenden etwas hochmütigen Satz: Books of the world, stand up and be counted! All 129, 864, 880 of you.
Da hat also König Salomo im Buch Kohelet vor etwa 2500 Jahren vergebens geklagt: ... des vielen Büchermachens ist kein Ende, und viel Studieren macht den Leib müde. (12, 12)
Was können wir da tun? Als erstes gilt die Erkenntnis des älteren Plinius, des Naturforschers und Zeitgenossen von Seneca, von dem sein Neffe, der jüngere Plinius, im fünften Brief des dritten Buchs seiner Briefsammlung berichtet: Er las nämlich, nichts, ohne es zu exzerpieren; er pflegte auch zu sagen, kein Buch sei so schlecht, daß es nicht in irgendeinem Bereich nütze: nullum esse librum tam malum ut non aliqua parte prodesset.
Warum ist das so? Weil wir auch bei der Lektüre von weniger guten Büchern und Zeitungen denken und mitdenken und auch sprachlich immer etwas dazulernen. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), als Erfinder des Dualsystems Vorläufer der heutigen Digitalisierung, schrieb etwa 1680 dazu:
... ich mißbillige auch nicht völlig die unbedeutenden Bücher, die so in Mode sind und wie die Blumen des Frühlings oder wie die Früchte des Herbstes kaum ein Jahr überleben. Falls sie gut geschrieben sind, haben sie die Wirkung eines nützlichen Gesprächs, das nicht nur gefällt und den Müßigen vor Unfug bewahrt, sondern auch den Geist und die Sprache formen hilft.
Auch wenn uns jede Lektüre geistig und sprachlich weiterbringt, wollen wir natürlich lieber gute oder sehr gute als weniger gute Texte lesen. Wie aber sollen wir die finden? Ref 103
35. Soll man Jugendlichen Bücher empfehlen?
Hermann Hesse war bekanntlich von Beruf Buchhändler und sein ganzes Leben ein begeisterter Leser. Was er in dem Reclam-Heft Eine Bibliothek der Weltliteratur (1929) über die Wege zur Literatur schreibt, sollte man deshalb ernst nehmen:
Er [der Leser] muß den Weg der Liebe gehen, nicht den der Pflicht. Sich zum Lesen irgendeines Meisterwerkes zu zwingen, nur weil es so berühmt ist und weil man sich schämt, es noch nicht zu kennen, wäre sehr verkehrt. Statt dessen muß jeder mit dem Lesen, Kennen und Lieben [d.h. legere, intellegere, diligere! F.D.] dort beginnen, wo es ihm natürlich ist. ... Der Wege sind tausend. Vom Schullesebuch, vom Kalender kann man ausgehen und kann bei Shakespeare, Goethe und Konfuzius enden. ... Darum soll man auch Kinder und ganz junge Menschen nie allzusehr zu einer bestimmten Lektüre ermuntern und anhalten ... Jeder knüpfe dort an, wo eine Dichtung, ein Lied, ein Bericht, eine Betrachtung ihm gefallen hat, er suche von dort aus nach Ähnlichem weiter.
Das ist alles richtig. Und doch ist dieses Reclam-Heft eine einzige Liste von Empfehlungen, warum auch nicht?
Selbst Kaiser Marc Aurel schreibt in seinen Selbstbetratchtungen (VII, 7): Schäme dich nicht, dir helfen zu lassen.
Und Seneca beschließt sein Buch Die Kürze des Lebens mit der Empfehlung, die besten philosophischen Bücher zu lesen:
Wir haben die Möglichkeit, mit Sokrates zu diskutieren, mit Karneades zu zweifeln, mit Epikur uns in ein ruhiges Leben zurückzuziehen, mit den Stoikern die menschliche Natur zu besiegen, mit den Kynikern sie hinter uns zu lassen. [...] Jeder von diesen wird Zeit haben, jeder wird den, der zu ihm kommt, glücklicher und als seinen noch besseren Freund entlassen, keiner wird einen mit leeren Händen von sich weggehen lassen; bei Nacht und bei Tag können sie von allen Sterblichen besucht werden.
Dasselbe gilt heute auch für uns und für alle Autoren zwischen Seneca, Camus, Carson McCullers und Uwe Johnson, um nur vier der Autoren zu nennen, die in der nun folgenden Liste von »Lieblingsbüchern für junge Leser« genannt sind.
Diese Liste war zunächst vor allem für die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Weilheim gedacht und wurde zum 20. Jubiläum der Weilheimer Hefte zur Literatur. im März 2000 als »Weilheimer Bibliothek für junge Leser« veröffentlicht. Von den damals 100 Beratern leben heute, am 31. Dezember 2012, 30 nicht mehr. Doch wenn wir heute lesen, was Loriot damals den jungen Leuten zur Lektüre empfohlen hat, Tolstoi, Fontane und Thomas Mann, dann begegnen wir auch ein wenig dem großen Humoristen und Moralisten Vicco von Bülow.
Denn als Lesende sind wir nicht nur im Gespräch mit dem Autor oder der Autorin, wir gehören auch
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