Wer liest, kommt weiter
Dingen, zur Natur, zur Literatur ... Ref 70
22. Das Lesen und das Glück
Die Hochzeitsnacht
Es war im Jahre 1870: Im Hause Bourdanin wurde Hochzeit gefeiert. Ehe die Sonne des langen glühendheißen Augusttages unterging, führte der Bräutigam, der kaiserliche und königliche Rittmeister Balthasar Bourdanin, seine jungangetraute Frau aus der Gesellschaft der Festgäste in die für ihn eingerichteten Gemächer seines Vaterhauses. Die Stuben waren still und leer. Die Fenster standen offen; durch die weißen Schleierbahnen der Vorhänge drang, in schräge Strahlen gebrochen, das schwere gelbrote Abendlicht. Der Rittmeister warf Hut und Handschuhe ab und schwang seinen Hochzeitsrock über die Sessellehne. »Und nun«, sprach er, »nun sage mir auch, Marie, wie glücklich du bist!«
In acht abwechselnd kurzen und langen Sätzen führt uns Gertrud Fussenegger am Anfang ihres Romans Das Haus der dunklen Krüge (1951/2002) in das Schlafzimmer, wo die Hochzeitsnacht stattfinden soll, und zugleich zum Thema des Romans: dem Machtanspruch des Mannes gegenüber der Frau.
Als wir Gertrud Fussenegger in Weilheim fragten, woher sie die Vorgeschichte der ersten Hochzeitsnacht ihres Großvaters kenne, sagte sie: Das ist doch mir passiert! In der Tat heißt es in ihren Erinnerungen Ein Spiegelbild mit Feuersäule (1979) bzw. So gut ich es konnte (2007): Am Abend unseres Hochzeitstages sah E. D. Tränen in meinen Augen. Er fragte mich: Weinst du, weil du so glücklich bist? Ich sagte: Ja, weil ich so glücklich bin.
In der Geschichte von Balthasar Bourdanin und seinen zwei Ehen (die erste Marie starb nach zehn Monaten, kurz nach der Geburt von Zwillingen, die zweite Marie hatte mit 30 schon graue Haare) können wir sehen, daß viele Beziehungen vor allem deshalb unglücklich sind, weil einer der Partner, früher fast immer der Mann, auf seiner Machtposition beharrt und so ein echtes Gespräch nicht zustande kommen kann. Ref 71
Dabei ist die Liebe, wie Wilhelm Busch im Buch des Lebens schrieb, der Schlüssel für das Lebensglück und, in der christlichen Hoffnung, auch der Schlüssel für das »Himmelreich«.
Andere setzen den Akzent auf anderes. Seneca beginnt sein Buch Über das glückliche Leben, De vita beata folgendermaßen:
Ein Leben im Glück, Bruder Gallio, wünschen sich wohl alle, ebenso tappen aber auch alle im dunkeln, wenn es darum geht, sich die Voraussetzungen für ein echtes Lebensglück deutlich vor Augen zu stellen. Es ist aber auch nicht einfach, ein solches Lebensglück zu erlangen. Hat man nämlich den Weg einmal verfehlt, kann man sich sogar vom Ziel entfernen, und zwar um so weiter, je hastiger man sich ihm nähern will. Denn führt der Weg in entgegengesetzte Richtung, läßt gerade die Geschwindigkeit den Abstand immer größer werden. So muß man sich zuerst das Ziel seines Strebens klarmachen und sich dann nach Möglichkeiten umsehen, es recht rasch zu erreichen. ... In unserem Fall führt gerade der beliebteste und am meisten empfohlene Weg am ehesten in die Irre.
Was aber ist nun Senecas Empfehlung? Unter Berufung auf die Lehre der Stoiker schreibt er im 3. Kapitel:
Demgemäß ist ein Leben dann glücklich zu nennen, wenn es sich im Einklang mit der eigenen Natur befindet. Das kann nur verwirklicht werden, wenn unser Geist gesund ist und immer gesund bleibt, wenn er ... sich den Zeitumständen anpassen kann, nicht ängstlich besorgt ist um den Körper und seine Ansprüche, wenn er dann noch eine Vorliebe hat für alle möglichen Dinge, die das Leben angenehm machen, freilich ohne eines dieser Dinge anzubeten, wenn er die Gaben des Glücks nutzt, aber nicht von ihnen abhängig ist.
Seneca hat oft über das Glück nachgedacht, auch weil er sehr reich war. Dazu noch zwei Zitate aus seinen Briefen an Lucilius:
Ich will dir den Besitz von Vermögen nicht verbieten, aber ich möchte erreichen, daß du nicht um dein Geld zitterst. Das kannst du aber nur erreichen, wenn du dir vollständig darüber klar wirst, daß du auch ohne Vermögen glücklich leben könntest. (18. Brief)
Alle Dinge sind von der Einbildung abhängig. Ein jeder ist so unglücklich, wie er es zu sein glaubt. (78. Brief) Ref 72
Und Marc Aurel sagt im 7. Buch seiner Selbstbetrachtungen: Denke nicht so oft an das, was dir fehlt, als an das, was du hast.
Schließlich noch ein Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach: Man sollte nicht sprechen von der Kunst, glücklich zu sein, sondern von der Kunst, sich glücklich zu fühlen
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