Wer liest, kommt weiter
Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot.« – »Nun«, sagte ich, »wenn ich ein Taugenichts bin, so ist’s gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.«
Wie viele junge Menschen seit 1826 haben diese Sätze gelesen und gehört und sich gefreut zu erfahren, ob der »Taugenichts« sein Glück machen wird. Von Anfang an hält der Dichter zu ihm und leiht ihm seine Stimme, um höchst poetisch zu schildern, was dieser spürt: Das Rad an seines Vaters Mühle (viermal A) braust und rauscht (nochmal A, dann s und sch): das Mühlen- und das Glücksrad drehen sich recht lustig, das hören und sehen wir, dann das emsige Tröpfeln des Schnees (wieder Wasser), schließlich der Höhepunkt der Lautmalerei: die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen. Kaum tritt jedoch der Vater auf, klingen die Sätze direkt wie in manchen Märchen: Da trat der Vater ... ; er hatte ... und die Schlafmütze ..., der sagte ...
Wie das alles klingt, wenn man es laut liest und hört! Kein Wunder, daß der Müllerssohn mit der Geige in die Welt geht:
Und als ich endlich ins freie Feld hinauskam, da nahm ich meine liebe Geige vor, und spielte und sang, auf der Landstraße fortgehend:
... Den lieben Gott laß ich nur walten;
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd und Himmel will erhalten,
Hat auch mein’ Sach’ aufs best’ bestellt!
Indem, wie ich mich so umsehe, kömmt ein köstlicher Reisewagen ganz nahe an mich heran, der mochte wohl schon einige Zeit hinter mir dreingefahren sein, ohne daß ich es merkte, weil mein Herz so voller Klang war, denn es ging ganz langsam, und zwei vornehme Damen steckten die Köpfe aus dem Wagen und hörten mir zu. Die eine war besonders schön und jünger als die andere, aber eigentlich gefielen sie mir alle beide. Als ich nun aufhörte zu singen, ließ die ältere still halten und redete mich holdselig an: »Ei, lustiger Gesell, Er weiß ja recht hübsche Lieder zu singen.« Ich nicht zu faul dagegen: »Ew. Gnaden aufzuwarten, wüßt’ ich noch viel schönere.« Darauf fragte sie mich wieder: »Wohin wandert Er denn schon so am frühen Morgen?« Da schämte ich mich, daß ich das selber nicht wußte, und sagte dreist: »Nach Wien«; nun sprachen beide miteinander in einer fremden Sprache, die ich nicht verstand. Die jüngere schüttelte einigemal mit dem Kopfe, die andere lachte aber in einem fort und rief mir endlich zu: »Spring Er nur hinten mit auf, wir fahren auch nach Wien.« Wer war froher als ich! Ich machte eine Reverenz und war mit einem Sprunge hinter dem Wagen, der Kutscher knallte und wir flogen über die glänzende Straße fort, daß mir der Wind am Hute pfiff.
Hinter mir gingen nun Dorf, Gärten und Kirchtürme unter, vor mir neue Dörfer, Schlösser und Berge auf; unter mir Saaten, Büsche und Wiesen bunt vorüberfliegend, über mir unzählige Lerchen in der klaren blauen Luft – ich schämte mich, laut zu schreien, aber innerlichst jauchzte ich und strampelte und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald meine Geige verloren hätte, die ich unterm Arme hielt. [Dann schläft er ein.]
... Als ich die Augen aufschlug, stand der Wagen still unter hohen Lindenbäumen, hinter denen eine breite Treppe zwischen Säulen in ein prächtiges Schloß führte.
Das alles ist märchenhaft. Doch es gibt drei Gründe, die das Glück des Taugenichts begünstigen: Er ist gar kein Taugenichts: Er kann Geige spielen und singen und ist, auch ohne Französisch zu können, sprachgewandt: »Ew. Gnaden aufzuwarten, wüßt’ ich noch viel schönere.« Er hat ein erfreuliches Selbstvertrauen und packt die Gelegenheit beim Schopf. Schließlich hat er ein herzliches Gottvertrauen, das bis zum letzten Satz der Novelle spürbar ist: Und es war alles, alles gut!
Wie ist das nun, wenn wir diese Novelle lesen? Überträgt sich dann nicht ein Teil der Freude und des Glücks des Taugenichts auch auf uns? Freuen wir uns nicht mit ihm und mit seinem Autor über sein Glück? Und freuen wir uns nicht auch, wenn wir so wohlklingende Sätze mit W und F hören wie: Wir fahren auch nach Wien. Wer war froher als ich!
Und was ist, wenn wir bei der Lektüre dieser beiden Novellenanfänge plötzlich einen Zusammenhang entdecken?
Hat Gottfried Keller vielleicht beim Schreiben seiner Novelle an den Müllerssohn von Eichendorff gedacht? Denn auch für den Schneider ist die Kutsche das Transportmittel zum Glück. Kellers Novelle wäre
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