Wer liest, kommt weiter
oberflächlicher, was in zahlreichen Büchern und Aufsätzen festgestellt wurde.
Und Bücher? Die vom Projekt Gutenberg, von zeno.org, von Bibliotheken oder Google Books digitalisierten Bücher sind u.a. für Wissenschaftler gedacht, die in Texten recherchieren. Und auf dem Kindle und verschiedenen Tablet-Computern werden literarische Werke zu günstigen Preisen angeboten (die Apparate freilich muß man teuer bezahlen). Wie wirken sich nun die einzelnen Medien auf die Lektüre aus?
Das Lesen am Bildschirm hat drei Vorteile und sechs oder sieben Nachteile gegenüber dem klassischen Lesen.
Günstig ist, daß man die Texte vergrößern kann. Das ist ein Pluspunkt bei älteren Menschen. Auch haben digitalisierte Texte kein Gewicht und brauchen keinen Platz. Schließlich kann man die meisten Texte, die man liest, gleich herunterladen.
Die Nachteile aber sind beträchtlich. Der erste springt ins Auge: Die Schrift auf dem Bildschirm ist viel schwerer lesbar als in einem Buch oder einer Zeitung. Buchstaben auf Papier haben eine wesentlich höhere Auflösung (etwa 600 dpi) als auf den besten Computerbildschirmen (etwa 100 dpi).
Der zweite Nachteil: die deutlich schwierigere Orientierung. In einem Buch und erst recht einer Zeitung steht, was wir lesen, an einer bestimmten Stelle. Im Internet sind die Texte im Fluß. Sie werden wie antike Schriftrollen, die auf englisch »scroll« heißen, von oben nach unten »gescrollt«, manchmal auch von links nach rechts verschoben – und dabei immer ortloser.
Drittens sind digitalisierte Texte »irreal«. Dazu Sven Birkerts in den Gutenberg-Elegien (1997): Das gedruckte Wort auf dem Papier ist zwar nahezu gewichtslos, hat aber nichtsdestoweniger Dingcharakter. Die Konfiguration von Impulsen auf der Mattscheibe hat ihn nicht ... Das gedruckte Wort hält eine Raumstelle dauerhaft besetzt ... und kann dort jederzeit nachgeprüft werden. Das elektronische Schriftbild besitzt keine dem vergleichbare Existenz, sobald es von der Anzeige des Ausgabegeräts verschwunden ist ...
Auch deshalb können wir digitale Texte schlechter behalten.
Das vierte Manko: die geringe Zuverlässigkeit digitalisierter Texte. Viele wurden eingescannt, da schleichen sich immer wieder Fehler ein und breiten sich dann aus.
Das fünfte Manko betrifft etwas weniger die einfachen Lesegeräte (aber auch die bieten diverse Links an), um so mehr alle Geräte mit Internetanschluß. Fast jede Seite bietet eine Vielzahl von Ablenkungen. Die wichtigste und fundamentale Ablenkung ist jedoch das Wissen des Benutzers, was alles nur einen Mausklick entfernt ist – und wäre es nur der E-Mail-Account.
Sechstens hat jedes Buch eine eigene Ausstrahlung. Ich nehme das Buch in die Hand und kann mit dem Autor oder der Autorin ins Gespräch kommen. Im Computer, auch im Kindle, verschwindet das einzelne Buch, ich schaue auf einen Bildschirm, in dem ein Text aufscheint und verschwindet, ohne daß ich eine Beziehung zu ihm aufbauen könnte.
Und siebtens kostet das Lesegerät nicht wenig (der erste Kindle kostete 399 Dollar, der neueste 159 Euro, die Buchtexte sind auch nicht umsonst), während ich Tausende von Büchern aus Bücherregalen und aus Bibliotheken gratis lesen kann.
Aus all diesen Gründen fällt uns das Lesen am Bildschirm schwerer. Auch lesen wir am Bildschirm deutlich sprunghafter, nachlässiger und oberflächlicher als in Büchern und in Zeitungen auf Papier und fast nie längere Texte. Dies wurde, wie schon erwähnt, in zahlreichen Untersuchungen festgestellt.
Mark Bauerlein, Anglist in Atlanta, zitiert in seinem Buch The Dumbest Generation: How the Digital Age Stupefies Young Americans (2008) [Die dämlichste Generation. Wie das digitale Zeitalter die amerikanische Jugend verblödet] Untersuchungen der Nielsen Norman Group, die im Auftrag der großen Konzerne mit allen kognitionspsychologischen Methoden untersucht, was potentielle Kunden im Internet lesen und anschauen. Hier das wichtigste Ergebnis, ins Deutsche übersetzt:
1997 gab sie [die Nielsen Gruppe] eine Untersuchung mit dem Titel »Wie die Benutzer im Web lesen« heraus. Der erste Satz lautete: »Sie tun es nicht« [› They don ‘t‹].
Die Zeitungen auf Papier lesen wir auch sprunghaft, aber oft mit höchster Konzentration und auf der Suche nach Artikeln, die uns interessieren könnten. Das ist auf einer Zeitungsseite viel eher möglich als auf einem kleinen Bildschirm. Ref 100
Aber wir haben noch gar nicht überlegt, woran die »Gegenseite«
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