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Wer liest, kommt weiter

Wer liest, kommt weiter

Titel: Wer liest, kommt weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Denk
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lernen? Vor allem Kinder und Jugendliche. Was sollen sie tun? Lesen! Und warum, genauer: wozu sollen sie lesen? Um weiterzukommen.
    Nun fehlen uns noch die Fragen nach dem Ort, der Zeit und der Art und Weise. Hier eine erste Antwort:
Holzzeit – so nannte man in Buchhaim die beschaulichen Stunden des Abends, den behaglichen Ausklang des buchhändlerischen und literarischen Treibens des Tages. Wenn dicke Holzbalken in die Kamine gelegt und Pfeifen entzündet wurden, wenn blutschwere Weine ihre Aromen in den dickbäuchigen Gläsern entfalteten und die Meisterleser ihre Veranstaltungen begannen: dann war Holzzeit. Dann knisterten und knackten die Scheite im Feuer, und gelber Schein erfüllte die Lesezimmer. Alte Folianten und druckfrische Erstausgaben wurden geöffnet, und die Zuhörer rückten näher, um Bewährtes oder Gewagtes, Essay oder Novelle, Romanausschnitt oder Brief wechsel, Lyrik oder Prosa vorgetragen zu bekommen. Holzzeit war die Zeit, in der sich der Körper zur Ruhe begab und der Geist erst richtig erwachte, in der die Phantome der Dichtkunst aus dem Papier stiegen und um die Köpfe der Hörer und Leser tanzten.
    So beschreibt Walter Moers alias Hildegunst von Mythenmetz in seinem Roman Die Stadt der Träumenden Bücher (2004) die allabendlichen Lesungen in der Bücherstadt Buchhaim.
    Wo aber gibt es heute noch Räume, in denen man in Ruhe lesen kann? Ref 99

31. Wo können wir lesen?
    Bis vor etwa zwei Jahren konnte man in der Münchner U-Bahn den Eindruck gewinnen, daß die Zahl der Buchleser, in München jedenfalls, zunimmt. Etwa jeder zehnte Fahrgast holte, kaum hatte er oder vor allem sie sich gesetzt, ein Buch aus der Tasche und begann zu lesen. Seit jedoch die Mobilnetze auch in der U-Bahn funktionieren, ist das Handy neues Leitmedium. Zuvor war die U-Bahn für manche ein Ort, an dem es wenig zu sehen gab und an dem man weitgehend ungestört lesen konnte (das »Örtchen« ist es noch immer).
    Vor einiger Zeit sah ich mit meiner Frau eine Wohnung wieder, in der wir früher oft gewesen waren. Die Wohnung war dieselbe, aber nicht die gleiche. In allen drei Zimmern, in denen heute eine junge Frau mit ihren Töchtern wohnt, gibt es Bücherregale, aber ihnen gegenüber steht jeweils ein großer schwarzer Fernsehschirm. Kann man in einem Zimmer, in dem ein Fernsehapparat steht, ungestört lesen? Denkt man da nicht zwischendurch an das Programm oder die Programme, die man jetzt gerade verpaßt? Auch ein Handy kann ein Störfaktor sein, nicht nur wenn es klingelt, sondern auch weil ich immer in Versuchung kommen kann, etwas nachzusehen.
    Es ist ja nicht jeder ein so begabter Leser wie Hildegunst von Mythenmetz, der in einem Café lesen kann, während ...
sich alle halbe Stunde ein anderer armer Poet auf den Tisch stellte und Gedichtetes vortrug, für das man ihn auf der Lindwurmfeste mit Teer getüncht und von den Zinnen gestürzt hätte. ...
Ein Zwerg mit unangenehm hoher Kopfstimme gab gerade ein ausuferndes Essay über seine Ablehnung von Badeschwämmen zum besten, was meine Konzentration aber kaum beeinträchtigte – ich kann unter den schwersten Bedingungen lesen, wenn die Lektüre mich zu fesseln vermag.
    Doch wenn wir endlich einen geeigneten Ort für die Lektüre gefunden haben, wo finden wir die dafür nötige Zeit?

32. Wann können wir lesen?
    Der Roman eines Schicksallosen, (1975) von Imre Kertész, aus dem oben eine Szene zitiert wurde, hat 287 Seiten. Ich habe ihn immer wieder jungen Leuten empfohlen: als Geschichtsbuch, als Abenteuerroman und sozusagen als Jugendbuch. Was der 14jährige jüdische Junge aus Budapest in Auschwitz und Buchenwald erlebt und durchlebt, ist absolut schrecklich, aber so erzählt, daß das Schreckliche lesbar und lesenswert wird.
    Von fünf oder sechs Jugendlichen weiß ich, daß sie den Roman dann auch gelesen haben: mit Ergriffenheit und Bewunderung zugleich. Bei anderen ist es wohl beim Vorsatz geblieben. Warum? Weil die meisten Jugendlichen sogar für ein Buch, das man in etwa neun Stunden lesen kann, keine Zeit mehr haben.
    Tagsüber gehen das Radio, der iPod und der Computer vor, abends das Fernsehprogramm und immer das Handy. Wann ist da noch eine Stunde Zeit, um ein Kapitel des Meisterwerks von Imre Kertész zu lesen? Als ich kürzlich mit einem Freund darüber sprach, zitierte er einen angeblichen Spruch des außerirdischen Fernsehstars ALF: »Es gibt viele Dinge, die wichtiger sind als Essen und Fernsehen. Aber die können warten.«
    Wie kann es uns

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