Wer mit Hunden schläft - Roman
nachdem er die Lok im Bahnhof angehalten hatte. »Der Lokführer hat seine Lok praktisch nie verlassen, Kreisky. War wie eine Weinbergschnecke damit verwachsen. Ohne Lok wäre der Lokführer komplett hilflos gewesen. Erst durch die Stahleinhausung der Lok wurde der weiche Körper des Lokführers geschützt. Ist sein Leben durch die Lok ein sicheres Leben geworden, wirklich wahr, ob du es glaubst oder nicht, Kreisky, sag ich zu ihm.«
Der Norbert stieg aus der Lok. Bückte und streckte sich, berührte mit seinen Fingerspitzen die Zehen, drehte seinen Kopf nach links und nach rechts, dass es knackste in den Gelenken. Nachdem er ein paar Meter auf dem Bahnsteig entlanggegangen war, drehte er sich um und schaute zum Lokführer. Der stand dicht neben seiner Lok und rauchte eine Zigarette. Als er den Blick vom Norbert bemerkte, nickte er ihm zu, machte mit der freien Hand das Zeichen mit dem Daumen nach oben und klopfte mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr. Norbert nickte zurück und wusste in dem Moment, dass er in die Lok nicht mehr einsteigen würde. Dass er nie wieder in eine Lok einsteigen würde, sein Lebtag nicht. Er drehte sich um und ging weiter den Bahnsteig entlang. Vor dem Bahnhofsrestaurant blieb er kurz stehen und ging rein. Er setzte sich an einen freien Tisch. Im Bahnhofsrestaurant war es dunkel, weil die Fenster völlig verdreckt waren. Wie in einem Schlachthaus waren der Boden, die Wände und selbst die Decke mit kleinen, quadratischen dunkelgrünen Fliesen ausgekleidet. Womöglich reinigte der Besitzer das Lokal einmal jährlich mit dem Dampfstrahler. An der Wand hing die kleinere Variante der Bahnhofsuhr, die draußen über dem Bahnsteig angebracht war. Die Bahnhofsuhren, die überall in Österreich die gleichen sind, wahrscheinlich auf der ganzen Welt gleich ausschauen sogar. Innen bis zu einem Drittel mit Fliegenleichen gefüllt sind, diese immer zu schwach beleuchteten Uhren. Der Norbert bestellte sich ein Himbeerkracherl, wie das Jugendgetränk heißt. Durch die Fenster konnte er den Zug vorbeirollen sehen, in dem er eigentlich hätte sitzen sollen. Er beim Anblick des Getränkes aber schon gar keinen Gedanken mehr an den Lokführer und seine Lok mehr verschwendete, außer dem einen, dass er froh war, beide endlich los zu sein. Das rot leuchtende Himbeerkracherl in der bauchigen Glasflasche erinnerte ihn an die Ausflüge, die er mit seiner Mutter und den Leitenbauerischen an den beliebten kirchlichen Feiertagen auf die Burgruine in Pichlberg unternommen hatte. Natürlich musste er bei diesen Ausflügen seine knielange Trachtenlederhose und den hellblauen Walkjanker anziehen, wie auch die anderen Ausflügler ihre Ausflugskostüme getragen hatten. In seiner Erinnerung waren die Menschen, die Kleidung und die Umwelt im Allgemeinen schwarz-weiß. Der Radius, in dem sich die erinnerten Menschen aufgehalten haben, nur ein paar Meter und am Ende, wie gesagt, ausgefranst, unkenntlich. Wie wenn der Lehrer mit dem dreckigen Schwamm schlampig über die vollgekritzelte Tafel wischt. Nur die bauchige Flasche Himbeerkracherl leuchtete scharlachrot wie seinerzeit, als sie der Burgwart vor ihm auf den von der Sonne ausgebleichten Holztisch hingestellt hatte. Zuvor war er aber noch mit der Mutter und den Leitenbauerischen in den grünen Mercedes vom Leitenbauer gestiegen, den er jeden Sonntag aus der extra dafür gebauten Garage geholt und geputzt hatte als wie. Die Sitze wurden vom Leitenbauer mit einer Plastikplane abgedeckt. Das Innere des Mercedes roch nach Neufahrzeug und Plastik. Mhm, riecht der gut, hat der Leitenbauer gesagt, wo er in Wirklichkeit stank nach dem giftigen Plastik und dem Plastikpflegespray, mit dem er es immer eingelassen hat, dass es einem schlecht geworden ist nach einer viertelstündigen Fahrt in diesem Auto. Der Leitenbauer hat sich jedes Jahr ein neues Modell von Mercedes gekauft, immer in den Farben Grau, Grün, Braun oder einer Kombination aus diesen Farben. Da er den Mercedes nur zu den Fahrten zur Kirche und für die Ausflüge an den kirchlichen Feiertagen benützte, hatte der Mercedes fast keine Kilometer auf der Anzeige. Weil der Mercedes sich die meiste Zeit des Jahres in der Garage befand, zu der nur der Leitenbauer Zutritt hatte, nur er einen Schlüssel für diese Garage besaß, aus Angst, jemand könnte seinen Mercedes beschädigen oder auch nur berühren. Wegen seiner stumpfen Farben hatte der Mercedes vom Leitenbauer aber sowieso keinem gefallen, der nicht Jäger oder
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