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Wer Mit Schuld Beladen Ist

Wer Mit Schuld Beladen Ist

Titel: Wer Mit Schuld Beladen Ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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weder hell noch dunkel, doch voller Schatten. Er lag gemütlich im Bett, eine Steppdecke hochgezogen bis unters Kinn, und fragte sich, ob es Tag oder Nacht war. Sommer oder Winter, Frühling oder Herbst? Seine Hand glitt über die dicken, tausendfach gewaschenen Laken. War er allein oder …?
    Dieser Gedanke schleuderte ihn zurück in sein Leben.
    Er drückte das Gesicht in das Daunenkissen und versuchte verzweifelt, auf den entschwindenden Zug des Schlafes aufzuspringen, doch der Waggon war fort, und er war ganz und gar wach. In einem Schlafzimmer im Obergeschoss des Hauses seiner Mutter. Er spähte hinüber zu den kleinen Fenstern in der Dachschräge, durch deren brüchige grüne Rollos graues Licht sickerte. Vermutlich später Nachmittag. Er sollte im Revier anrufen und sich von Lyle MacAuley einen Lagebericht geben lassen. Gott sei Dank war seit Neujahr alles totenstill geblieben. Ihr einziger offener Fall war der Tod von Herb Perkins’ Border Collie. Jemand hatte den Hund aus der Scheune gelockt und abgeschlachtet. Grausig, aber nicht dringlich. Lyle überprüfte gerade die extrem lange Liste der Personen, die den übellaunigen Perkins womöglich so wenig gemocht hatten, dass sie ihm die MillersKill-Version des Pferdekopfs zwischen den Bettdecken verehrt hatten.
    Er legte die Hand über die Augen. Er konnte sich mit dem armen dummen Hund identifizieren. Erst wurde man von verbotenen Genüssen aus dem Heim gelockt, und ehe man wusste, wie einem geschah, dampften die eigenen Eingeweide neben einem im Schnee.
    Nein. Er würde nicht schon wieder in Selbstmitleid baden. Er hatte zu viel zu tun. Die Asche aus dem Holzofen entsorgen und Holz reinholen, sich beim Freischaufeln der Zufahrt einen Vorsprung verschaffen, seiner Mutter anbieten, bei der Vorbereitung des Essens zu helfen.
    Er fragte sich, wie er auch nur eines davon schaffen sollte, wenn er nicht mal den Willen aufbrachte, aus dem Bett zu steigen. Er sah auf seine Uhr; dazu streckte er den Arm aus und blinzelte, um das Zifferblatt erkennen zu können. Fünfzehn Uhr, Montag. Und er lebte noch. Tat nicht viel, war aber noch immer hier. Das war doch schon was, oder?
    Er hörte das Knarren der Treppe, leise Schritte vor der Tür. Er schloss die Augen und ließ die Hand entspannt auf die Steppdecke fallen, schob den Augenblick, in dem er ins Land der Lebenden zurückkehren musste, noch ein wenig hinaus. Die Schritte verschwanden die Treppe hinunter, und er seufzte. Himmel, hier lag er, fünfzig Jahre alt, und versteckte sich vor seiner Mutter. Ging es noch erbärmlicher?
    Bei diesem Gedanken schlug er die Decke zurück und schwang sich aus dem Bett. Bis auf seine Socken war er vollständig bekleidet, und während er sie anzog, übte er seine Pokermiene. Tüchtig. Zuverlässig. Ein Typ, der die Dinge im Griff hat. Er stellte sich vor den Ankleidespiegel und kontrollierte seine Erscheinung. Okay. Keine Flecken. Die Haare nicht zerzaust – aber wenn er nicht bald zum Friseur ging, konnte er sich einen Pferdeschwanz binden wie diese bescheuerten Städter, wenn sie mit ihrer Midlife-Crisis rangen.
    Er sah sich nicht in die Augen.
    Er öffnete die Tür zu dem als Miniaturflur maskierten Treppenabsatz. Im gegenüberliegenden Schlafzimmer schäumten rosa Baumwolle, Spitzen und Stofftiere auf zwei Betten, bereit für den Besuch seiner Nichten. Er schlurfte die erste Treppe hinunter und blieb auf dem Absatz stehen. Aus der Küche drangen Stimmen. Seine Mom und … er stieg ein Stück weiter nach unten … seine Schwester.
    »… jetzt?«, sagte Janet gerade.
    »Nein. Er ist kurz vor dem Mittagessen gekommen. Sah aus wie der Tod auf Rädern. Er ist direkt ins Bett. Ich habe ihn nicht gefragt.«
    »Was läuft zwischen ihm und Linda?«
    »Ich weiß nicht. Ich versuche, mich nicht einzumischen.«
    »Hat er schon mit einem Anwalt gesprochen?«
    »Soweit ich weiß, will er das gar nicht.«
    »Ach, um Gottes willen.«
    »Janet …« Der warnende Ton seiner Mutter. Gott helfe dem Kind, das in ihrer Gegenwart fluchte oder Gott lästerte. Selbst wenn das betreffende Kind sechsundvierzig und dreifache Mutter war.
    »Tut mir leid.« Stuhlbeine scharrten über den Boden.
    »Aber ehrlich, Mom. Sie könnte die Konten abräumen, während er hier Trübsal bläst.«
    »Sollte sie das tun, muss er damit fertig werden. Ich dränge ihn nicht zur Scheidung, und ich sage ihm nicht, dass er zu seiner Frau zurückgehen soll. Ich halte den Mund.«
    Er wollte gerade laut die restlichen Stufen

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