Wer Mit Schuld Beladen Ist
einen Kollegen von der staatlichen Einheit für Cyberkriminalität angefordert, der ihm helfen wird.«
Russ nickte anerkennend. Sie stand im Begriff, ihm auf Grundlage einer blödsinnigen Theorie eine Falle zu stellen, aber er konnte großzügig sein. Seine Frau lebte. Lebte.
»Jetzt möchte ich Ihnen ein anderes Szenario vorstellen. Ein Paar hat eine Affäre. Das Einzige, was ihrem Glück im Wege steht, ist seine Frau, die auf so ermüdenden Dingen wie einer Eheberatung besteht und die, dank ihres erfolgreichen Unternehmens, zufällig wesentlich wohlhabender ist als ihr Mann. Das Paar entscheidet sich, sie aus dem Weg zu räumen. Zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Sonntag-und Montagnachmittag fahren sie zu ihrem Haus. Aus irgendeinem Grund kann oder will der Mann die Drecksarbeit nicht übernehmen. Deshalb geht die Frau …« Jensen wandte sich an Clare und erweckte dabei den Eindruck, als wollte sie sich nur nach den Messeterminen von St. Alban’s oder einem guten Café in der Nähe erkundigen. »Ach übrigens, Reverend, stimmt es, dass Sie beim Militär waren? Und auch im Nahkampf ausgebildet wurden? So eine Erfahrung muss eine Frau doch stählen.«
Russ konnte sehen, wie Clares Kiefer mahlten, als sie mit zusammengebissenen Zähnen eine Antwort unterdrückte.
»Wo war ich?«, sagte Jensen. »Ach ja. Die Frau geht also rein. Sie sieht, was sie zu sehen erwartet, eine attraktive Blondine um die fünfzig. Wie oft haben Sie Mrs. Van Alstyne persönlich getroffen, Reverend Fergusson?«
Clare öffnete den Mund.
»Beantworten Sie das nicht«, befahl Karen Burns.
»Macht nichts«, sagte Jensen. »Die Frau trifft auf die Blondine. Sie schneidet ihr die Kehle durch und verstümmelt die Leiche.«
Clares finstere Miene löste sich auf. Entsetzt sah sie Russ an. Oh, Liebling, dachte er. Ich wollte nicht, dass du diese Scheußlichkeit erfährst.
»Die Frau kommt heraus. Berichtet ihrem Liebhaber, dass seine Frau tot ist, denn davon ist sie überzeugt. Danach gibt das Pärchen sich gegenseitig ein Alibi, indem es behauptet, die Nacht zusammen verbracht zu haben.«
»Totaler Bockmist«, sagte Russ. »Und ohne jede Grundlage. Aus Lyles Theorie über einen rachsüchtigen Ex-Häftling könnte ich eine genauso detaillierte Story spinnen und hätte genauso wenig Beweise, die sie stützen.«
Jensen zuckte die Schultern. »Beweise sind das, wonach ich suche. Reverend Fergusson, würden Sie sich einverstanden erklären, Ihre Fingerabdrücke nehmen zu lassen?«
»Ich glaube nicht …«, setzte Karen Burns an.
»Ja«, antwortete Clare.
»Würden Sie einer Durchsuchung Ihres Hauses zustimmen?«
»Nein«, sagte Burns.
»Ja.« Clare sah ihre Anwältin an. »Ich bin nicht schuldig. Ich habe nichts zu verbergen.« Sie schwieg eine Sekunde. Sie blickte Russ an, und er begriff das, was sie durch ihre unbesonnene Zustimmung erreicht hatte. »Ich habe nichts mehr zu verbergen.«
Jensen lächelte.
»Ich erwarte, dass mein Mandant in vollem Umfang seinen Dienst wieder aufnimmt, sobald die Beweise ihn von jeglicher Tatbeteiligung freisprechen«, sagte Geoff Burns.
»Nicht, wenn die Hauptverdächtige seine Geliebte ist, dann nicht.« Die Ermittlerin des BCI schlug die Akte auf, die sie in Händen hielt. »Laut ihrer eigenen Aussage verließ Reverend Fergusson ihre kleine Ferienhütte in den frühen Morgenstunden und kehrte nicht vor vierzehn Uhr zurück, oder zumindest ungefähr um diese Zeit. Eine lange Zeitspanne, für die es keine Zeugen gibt.«
»Ich bin nicht vor zehn Uhr gefahren«, warf Russ ein. Sein Mund war staubtrocken, weil er darüber reden musste. »Clares Wagen stand in der Einfahrt. Von Schnee bedeckt. Er war nicht bewegt worden.«
Jensen breitete die Arme aus. »Aber was passierte dann? Ich behaupte nicht, eine Expertin der hiesigen Geographie zu sein, deshalb korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, doch ich glaube, sie hatte zwischen zehn und vierzehn Uhr genug Zeit, nach Millers Kill zu fahren, Ihre Frau zu töten – ich meine Audrey Keane, aber das konnte sie ja nicht wissen –, wieder zurückzukehren und vor dem Priester, der sie besuchte, so zu tun, als wäre sie in den Wäldern gewesen. Oder irre ich mich?«
Er warf einen Blick auf Clare. Er konnte nicht anders. Er wollte es nicht, doch die Berechnungen drängten sich von selbst in seinen Verstand: anderthalb Stunden nach Millers Kill und anderthalb wieder zurück, dann blieb eine Stunde, mehr als genug für jemanden, der schnell war, entschieden und
Weitere Kostenlose Bücher