Wer Mit Schuld Beladen Ist
gewohnt, spontane Entscheidungen zu fällen. Vielleicht hatte sie am Anfang nur hinter ihm herfahren wollen. Es war eine lange, ruhige Fahrt. Viel Zeit zum Grübeln. Und sie war müde gewesen, erschöpft von zu vielen Emotionen und zu wenig Schlaf. Nicht sie selbst.
Ihm wurde klar, dass er zu lange geschwiegen hatte. Clare sah ihn mit wachsender Bestürzung an. »Russ?«, fragte sie.
»Irre ich mich?«, wiederholte Jensen.
»Nein«, antwortete er.
Clare öffnete den Mund, doch kein Ton kam heraus.
»Nicht, was die Fahrzeiten angeht, meinte ich«, verbesserte er sich, doch er hörte die Schwäche in seiner Stimme, das Wanken in seiner Überzeugung.
»Russ!«, protestierte Clare.
»Officer Entwhistle, können Sie Reverend Fergusson die Fingerabdrücke abnehmen?« Da ihr Vortrag beendet war, ging Jensen zu Lyle hinüber. »MacAuley, wen können wir entbehren, um das Haus des Reverends zu durchsuchen?«
Karen Burns runzelte die Stirn. »Clare, ich werde es noch einmal sagen. Ich rate Ihnen mit Nachdruck, keine Durchsuchung des Pfarrhauses ohne richterlichen Befehl zu gestatten.«
Clare schüttelte den Kopf. »Nein. Lassen wir sie.«
»In diesem Fall bestehe ich darauf, dabei anwesend zu sein, Investigator.«
Jensen zuckte die Schultern. »Sicher. Aber dann sollten Sie lieber in die Gänge kommen. Wir werden in einer Viertelstunde dort sein.«
»Eine Viertelstunde, nachdem Officer Entwhistle die Abdrücke genommen hat.«
»Ja, ja.« Jensen gestikulierte in Richtung Noble. »Los, Officer.«
Noble setzte sich widerwillig in Bewegung. Er berührte Clare am Ellbogen und führte sie den Korridor hinunter, ihre Anwältin an ihrer Seite.
Vor ihrem Mann blieb Karen Burns stehen. »Ich werde sie bei uns zu Hause bei der neuen Diakonin absetzen. Ich will, dass sie dort bleibt, bis ich zurückkomme.«
»Verstanden«, erwiderte Geoff Burns.
Und die ganze Zeit stand Russ einfach da. Beobachtete Clare. Das Letzte, was er von ihr sah, war ihr Gesicht, das sie ihm zuwandte, ehe sie um die Ecke verschwand.
»Hören Sie«, sagte Burns, »ich möchte nicht, dass Sie von jetzt an noch mit ihr reden. Sie können in ihrem Fall nicht helfen und sich selbst nur Schaden zufügen. Hören Sie mich? Van Alstyne?«
Ein Gebet, von dem sie ihm erzählt hatte, kreiste in seinem Verstand.
O Herr, ich glaube. Hilf meinem Unglauben.
36
C lare ließ zu, dass man sie aus dem Revier bugsierte wie einen jugendlichen Straftäter, der von seinen aufgebrachten Eltern abgeholt wird. »Fahren Sie mit Ihrem Wagen zu unserem Haus«, befahl Karen, während sie ihre Wollmütze zurechtrückte, um ihre Haare vor dem stetig fallenden Schnee zu schützen. »Sie können auf Cody aufpassen, bis ich von der Durchsuchung des Pfarrhauses zurück bin. Die mir nach wie vor absolut nicht behagt.«
Clare, die ihrer Anwältin die Stufen hinunterfolgte, machte einen schwachen Versuch, ihre Unabhängigkeit zu behaupten. »Kann ich nicht einfach nach Hause fahren und warten, bis sie fertig sind?«
»Nein.« Karen wandte sich zum Parkplatz hinter dem Revier. »Zunächst einmal wollen Sie bestimmt nicht dabei sein, wenn ein Rudel brutaler Schläger Ihre Besitztümer durchwühlt. Zweitens habe ich der neuen Diakonin bereits zu viel zugemutet. Sie können etwas von meinem Honorar abarbeiten, indem Sie auf Cody aufpassen. Wenn ich zurück bin, werden wir uns unterhalten. Ich will, dass wir jeden einzelnen Punkt der Ereignisse bis heute durchgehen.«
»O Gott, Karen. Ich habe gar nicht daran gedacht, zu fragen, was mich das kosten wird. Ich weiß nicht mal, was Sie berechnen.«
Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht der Anwältin. »Das sagte ich doch bereits. Ich werde Sie dafür babysitten lassen.«
»Aber …«
Karen wischte die Schneeflocken von Clares Schulter, ehe sie ihre behandschuhte Hand darauf ruhen ließ. »Sie sind meine Pastorin«, sagte sie, »und zudem betrachte ich Sie als meine Freundin. Was normalerweise nicht heißen würde, dass Sie kostenlos davonkommen. Aber Sie haben meinem kleinen Jungen das Leben gerettet. Damit haben Sie bei Burns und Burns unbegrenzten Kredit.« Dann überraschte sie Clare, indem sie sie fest umarmte. »Wir holen Sie da raus«, flüsterte sie. »Machen Sie sich keine Sorgen.« Sie gab Clare frei und streckte die Hand aus. »Hausschlüssel?«
»Es ist nicht abgeschlossen.«
»Okay.« Vor der Fahrertür ihres Landrovers zögerte sie einen Moment. »Ich komme, sobald ich kann. Fahren Sie direkt zu meinem Haus. Gehen Sie
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