Wer Mit Schuld Beladen Ist
Die Kinder waren untröstlich.«
Clare hielt Lois den Zettel unter die Nase. »Welches Schicksal stand diesem Lamm bevor, ehe es zu Kojotenfutter wurde?«
Lois verschränkte die Hände. »Osterbraten.«
»Den ich hätte segnen sollen, nehme ich an.« Sie sah auf die Bürouhr. »Hören Sie, falls heute Morgen jemand anruft, ich bin noch eine Weile nicht zu erreichen. Ich erwarte eine Besucherin. Reverend Elizabeth de Groot. Sie ist uns vom Bischof zugeteilt worden. Als unsere neue, im Voraus bezahlte Vollzeitdiakonin.«
Die perfekt gezupften Brauen der Sekretärin hoben sich, und Clare dachte: Kein Botox. Ein Punkt für dich, Lois.
»Wann fängt sie an?«
»Äh … sofort, nehme ich an.«
»Sofort? Heute? Wie nett von der Diözese, uns Bescheid zu geben.«
Clare wollte, dass Lois sich ein eigenes Bild von der neuen Diakonin machte, deshalb ging sie über den Grund für die Großzügigkeit des Bischofs hinweg. »Für mich war das auch eine Überraschung.«
Lois saß stocksteif auf ihrem Drehstuhl. »Nun, es ist nicht meine Schuld, dass sie nicht im neuen Pfarrblatt steht. Es ist letzten Freitag an die Druckerei gegangen.«
»Machen Sie sich keine Gedanken. Und betrachten Sie es so – sie ist eine weitere willige Kraft. Viele Hände machen bald ein Ende und so.«
Ein berechnender Ausdruck schlich sich in Lois’ Gesicht. »Wollen Sie damit sagen, sie wird nicht nur seelsorgerische Aufgaben übernehmen?«
»Ihre Hauptaufgabe wird es selbstverständlich sein, mich bei der Seelsorge und den Gottesdiensten zu unterstützen. Aber ich kann nicht erkennen, warum sie Ihnen nicht auch in anderer Hinsicht behilflich sein sollte.« Im Übrigen hatte eine außerordentlich beschäftigte Diakonin weniger Zeit, ihre Nase in Clares Angelegenheiten zu stecken.
Lois lächelte. Kein schöner Anblick. »Ach ja. Ich kann mir eine Menge Aufgaben vorstellen, bei denen ich Hilfe brauchen könnte.«
»Nur zu. Nun, ehe ich es vergesse, ich brauche …«
»Verzeihung.«
Clare und Lois drehten sich um. Die Frau in der Bürotür ähnelte nicht im Geringsten dem Bild, das Clare sich von Reverend Elizabeth de Groot gemacht hatte und das außerordentliche Ähnlichkeit mit Dame Judi Dench besaß. Erstens war diese Frau jünger, nur ungefähr zehn Jahre älter als Clare. Sie war klein – vogelhaft, wie Clares Großmutter Fergusson gesagt hätte. Merklich dünner als Lois, die mit Größe 36 normalerweise die schlankste Frau im Raum war. Doch Lois war fast so groß wie Clare. Diese Frau hätte unter ihrer beide Kinne entlanglaufen können, ohne ihre schöne, aschblond gesträhnte Mähne zu zerzausen. Sie trug ein kleines schwarzes Kostüm zu ihrem Kragen, das nach Chanel aussah, falls Chanel Klerikerkleidung produzierte.
Clare konnte spüren, wie der Geist ihres siebzehnjährigen Ich darum rang, in ihre Haut zu schlüpfen. Ihre Handgelenke, die aus den Ärmeln ragten, wirkten riesig und knochig. Ihre Haare lösten sich bereits aus dem Knoten an ihrem Hinterkopf. Sie war sicher, dass sie bei genauerem Hinsehen die Schmiere unter ihren Fingernägeln entdecken würde, die ihr ständiger Begleiter gewesen war, als sie früher mit ihrem Vater an Flugzeugmotoren geschraubt hatte.
»Ich bin Elizabeth de Groot.« Die Frau lächelte freundlich. Kein Wunder. Es war unzweifelhaft eine tolle Sache, Elizabeth de Groot zu sein.
Ihr Lächeln wurde starr, und Clare wurde bewusst, dass sie nicht geantwortet hatte.
»Hi! Ich bin Clare Fergusson.« Sie streckte die Hand aus – ein verstohlener Blick zeigte ihr, dass genauso wenig Schmiere unter ihren Nägeln saß wie vor einer Viertelstunde – und schüttelte Elizabeths. »Das hier ist unsere Kirchensekretärin, Lois Fleming.«
»Ich hoffe, das kommt für Sie nicht völlig überraschend, Ms. Fergusson. Bitte sagen Sie, dass die Diözese Sie von meiner Versetzung nach St. Alban’s informiert hat.«
»Oh, nein, nein«, stotterte Clare. »Ich meine, ja – natürlich haben sie mir Bescheid gesagt, persönlich. Ich habe nur noch keinen Kaffee getrunken.« Sie machte ein Geräusch, das selbstironisches Amüsement ausdrücken sollte, aber leider nur wie ein Räuspern klang. »Wollen wir nicht in mein Büro gehen? Dort können wir plaudern. Lois, nehmen Sie bitte meine Anrufe entgegen?«
Sie führte de Groot den Flur hinunter in ihr Büro. Der Raum enthielt die übliche Ausstattung, die man bei einer Geistlichen erwarten konnte: ein Bücherregal nahm eine der Wände ein, ein großer Schreibtisch aus
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