Wer morgens lacht
zweiten Grades – die Familie war zerstreut, aber zahlreich – oder Otto und Friedel Stegmüller, die Nachbarn, oder Mamas Kolleginnen von der Bank, dann gab es Hasenbraten und dazu die ewig gleichen Kommentare: Im Geschäft müsste man ein Vermögen für so einen Hasen bezahlen, so ganz ohne Chemie. Otto, willst du noch ein Stück? Anne isst am liebsten die Schenkel, aber Marie nicht, die kriegt man nicht dazu, Hasen zu essen, sie will einfach nicht, und zwingen kann man sie ja nicht mehr.
Vor sieben Jahren haben diese Kommentare dann aufgehört.
Ich hätte am liebsten auch keinen Hasen gegessen, aber ich tat es, ich aß diese verdammten Hasenschenkel, immer, auch wenn mich niemand dazu gezwungen hat. Das war gar nicht nötig, ich zwang mich selbst, und wenn ich sie heute besuche, zwinge ich mich noch immer, Hasenschenkel zu essen. Irgendwann werde ich ihnen sagen, dass ich keine Hasen mag, dass ich Hasen noch nie gemocht habe, und irgendwann werde ich auch aufhören, sie zu besuchen. Vielleicht. Ich werde sie vergessen und nur manchmal daran denken, dass ich früher Eltern hatte, so wie ich manchmal daran denken werde, dass ich früher eine Schwester hatte.
So könnte die Geschichte auch anfangen, es wäre durchaus eine Möglichkeit, eine von vielen.
Ich habe den Bleistift aus der Hand gelegt und starre aus dem Fenster in die Dunkelheit, erst jetzt fällt mir auf, wie spät es geworden ist. Von drüben, vom Wohnzimmer, dringen laute Stimmen herüber, sie sind zu Hause, alle drei, Ricki, Jakob und Kevin, und unterhalten sich. Wieder einmal bin ich froh, dass ich hier bin, in Frankfurt, und nicht in Allach, hier lebe ich mit Menschen zusammen, die ich mir ausgesucht habe, hier ist die Welt heller und freundlicher, hier riecht es nicht muffig, hier kann ich frei atmen. Ich stehe auf, ich werde hinübergehen, zu ihnen, vielleicht ist ja noch etwas von dem Wein da, den Kevin von seinem letzten Elternbesuch mitgebracht hat.
Von meinem Schreibtisch bis hinüber zu ihnen sind es nur wenige Meter, aber für mich wird es ein Ausflug in eine andere Welt sein, ich brauche Abstand, nicht nur von meinen Erinnerungen, ich brauche vor allem Abstand von mir selbst.
Vier
Es gibt Menschen, die gern in Gesellschaft sind, die gern lachen und diskutieren und keine Gelegenheit zum Feiern auslassen, während andere eher dazu neigen, sich zu verkriechen. Auf mich trifft der Begriff introvertiert nur unzureichend zu, manchmal könnte man mich menschenscheu nennen, zumindest früher war ich das wohl. Für Leute wie mich ist eine Wohngemeinschaft ein Segen, in einer Wohngemeinschaft entkommt man der Gefahr zu vereinsamen.
Sie haben die Deckenlampe nicht angemacht, diese Kronleuchterimitation, die ein früherer Bewohner einfach zurückgelassen hat, wie so vieles von unserer Einrichtung aus Möbelstücken besteht, die jemand nicht mehr gebraucht und einfach zurückgelassen hat. In dieser Wohnung gibt es schon seit mindestens zehn, zwanzig Jahren Wohngemeinschaften, ganze Generationen von Wohngemeinschaften haben hier gelebt, so genau weiß das keiner.
Wir sind sozusagen alter Frankfurter WG-Adel, wir sind zu einer Institution geworden, wir haben eine Tradition zu verteidigen, hat Jakob, ein Psychologiestudent, gesagt, als ich vor anderthalb Jahren hier eingezogen bin, weil ich nach der Geschichte mit Torsten nicht mehr im Studentenheim bleiben wollte. Außer ihm und Ricki hatte damals noch Katrin hier gelebt, die wie Jakob Psychologie studiert und im Frühjahr ihr Staatsexamen gemacht hat und nach Berlin gezogen ist.
Nach ihrem Auszug meldeten sich viele Bewerber für das leer gewordene Zimmer, das zwar ein bisschen laut ist, weil es, wie das Wohnzimmer und die Küche, zur Straße liegt, aber es ist groß, neben Jakobs das größte in der Wohnung. Wir haben uns nach langen Diskussionen für Kevin entschieden, der aus Hannover kommt und noch nicht weiß, was genau er machen will, deshalb hat er sich erst mal für Neuere Geschichte eingeschrieben. Er gefiel uns auf Anhieb, dieser gut aussehende, etwas tollpatschige Junge, der uns so fröhlich und begeistert entgegenkam wie ein junger Hund, der sich fast überschlägt vor Freude. Diskutiert haben wir nur, weil er nicht zu unseren politischen Prinzipien passte, seine Eltern haben genug Geld, um ihm eine ganze Dachterrassenwohnung zu bezahlen, deshalb stand ihm, wie wir fanden, eine preiswerte Unterkunft eigentlich nicht zu. Aber wir mochten ihn, und er sagte, er wolle unbedingt in eine
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