Wer morgens lacht
und fügt lasch hinzu, na ja, wenigstens so ungefähr.
Ich halte das für Blödsinn, sage ich und denke, verdammt, das mit dem Abstand, den ich mir gewünscht habe, haut wohl nicht hin, da bin ich offenbar aus dem Regen in die Traufe geraten, das habe ich mir anders vorgestellt, es gibt so viele Themen, über die man reden könnte, warum muss es ausgerechnet so etwas sein?
Ich schaue Ricki an, unsere Blicke treffen sich, sie öffnet den Mund, als wolle sie etwas sagen, doch dann lächelt sie, und ich kann gar nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern. Ich mag es, wenn sie lächelt, ich mag sie überhaupt, sie war der Grund dafür, dass ich so schnell und bereitwillig hier eingezogen bin. Ricki, die sich mir damals noch als Ricarda vorstellte, hat mir vom ersten Moment an gefallen, lebhaft und rund, wie sie ist, sie erinnert an einen Kreisel, bewegt sich auch wie ein Kreisel, an ihr ist nichts Eckiges, nichts Staksiges und sie hat rotblonde Haare. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Rothaarige, meine erste und vielleicht einzige Freundin in der Schule, Katinka, war rotblond gewesen, es ist eine Haarfarbe, die einen Raum sofort heller und freundlicher erscheinen lässt, wenigstens für mich ist das so. Und Ricki hat, außer diesen Haaren, ein sehr schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit grünen Augen, die manchmal aussehen wie die staunenden Augen eines Kindes, dann wieder wie die einer sehr weisen alten Frau.
Jetzt nickt sie mir verständnisvoll zu und legt ihre Hand auf meine, und wieder einmal habe ich das Gefühl, ich müsste ihr nichts erklären, sie wüsste sowieso alles. Kann sie etwa Gedanken lesen? Ich ziehe meine Hand weg, nehme mein Glas und trinke es in einem Zug leer, dann halte ich es Kevin mit einer auffordernden Bewegung hin, und er gießt mir sofort nach. Mir ist schwindlig, und ich weiß nicht, ob es am Alkohol liegt, an den ich nicht gewöhnt bin, oder an etwas anderem, zum Beispiel an dieser blöden Familienaufstellung, und ich denke noch einmal, aus dem Regen in die Traufe, das ist wirklich typisch für mich.
Ich halte es nicht unbedingt für Blödsinn, sagt Ricki, es ist eine Methode unter vielen, um etwas über sich selbst zu erfahren, und alles, was einen Menschen zum Nachdenken und Reflektieren bringt, kann grundsätzlich helfen. Trotzdem glaube ich nicht, dass bei Familienaufstellungen wirklich etwas herauskommt, weil so viele Leute dabei sind, so viel Publikum. Wenn ich mich nicht irre, wird das Ganze manchmal sogar wie ein Theaterstück auf einer Bühne veranstaltet, als Massenspektakel, mit Publikum. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Patienten oder die Stellvertreter ihrer Familienmitglieder wirklich so offen sind, wie sie es sein sollten, wenn sie doch genau wissen, dass andere zuschauen. Meiner Meinung nach kommt es dabei leicht zu neuen Fehlinterpretationen. Ich glaube, ich wäre bei einer Therapie lieber allein mit meinem Therapeuten. Übrigens, diese Methode einer Familienaufstellung ist nicht neu, ich dachte eigentlich, sie wäre längst überholt.
Das habe ich auch gedacht, sagt Jakob, stimmt aber nicht, ich habe gegoogelt und jede Menge Angebote gefunden, nicht nur in Frankfurt, die Großveranstaltungen scheinen allerdings aufgehört zu haben, da habe ich keine entdeckt. Aber wenn du mich fragst, ich halte auch nicht viel davon, vielleicht weil die Frau, die heute in der Mensa die ganze Diskussion ausgelöst hat, eine ziemlich blöde Tussi ist, du musst sie eigentlich kennen, Ricki, sie heißt Sina, sie war letztes Jahr mit dir in einem Seminar, hat sie gesagt, erinnerst du dich?
Ricki lacht, ja, natürlich erinnere ich mich, aber ich habe damals angenommen, ihr ganzes Problem besteht einzig und allein darin, wie man sich am besten aufstylt, um Männer anzumachen. Seltsam, ich hätte nie erwartet, dass sie etwas anderes im Kopf haben könnte. Nun, da sieht man mal wieder, wie man sich irren kann.
Ich würde mich für so eine Veranstaltung nie hergeben, sage ich und weiß, dass ich jetzt nicht nur versuche, den anderen etwas vorzumachen, sondern auch mir, denn in Gedanken sehe ich meine Familienmitglieder eine Bühne betreten und ich kann gar nicht anders, ich überlege automatisch, wie ich sie aufstellen würde, falls es mir je in den Sinn käme, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen. Vor lauter Schreck trinke ich mein Glas leer. Kevin, aufmerksam und gut erzogen, wie er ist, greift sofort wieder nach der Flasche, um mir nachzuschenken.
Um was für
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