Wer morgens lacht
meine Mutter.
Draußen, ein bisschen frische Luft schnappen, und da habe ich Corinna im Kuhstall gefunden.
Allein?, fragte Lena.
Nein, mit Onkel Hans.
Wir haben Kitzeln gespielt, verkündete Corinna.
Lena warf mir einen Blick zu, ernst und forschend, und sagte zu ihrer Tochter, geh, wasch dir die Hände, und zu mir gewandt, kannst du ihr bitte helfen, Anne?
Später zog sie mich zur Seite und fragte besorgt, war da was?
Ich beruhigte sie, nein, es war nichts, und ich will auch nicht den Teufel an die Wand malen, trotzdem habe ich ein seltsames Gefühl, an deiner Stelle würde ich sie nicht längere Zeit mit ihm allein lassen.
Danke, sagte sie und umarmte mich, zum ersten Mal tat sie das, und wir waren uns plötzlich ganz nah. Ich freute mich darüber, eine neue Frau in der Familie, eine, die mich offenbar mochte und mich nicht nur als unbedeutendes Anhängsel betrachtete. Auch auf dem Friedhof standen wir nebeneinander, sie und ich, und zwischen uns hopste Corinna, die eine Hand hatte sie in die ihrer Mutter geschoben, die andere in meine, ihre Finger waren klebrig von den Bonbons, die Lena ihr gegeben hatte, um sie für die Zeit der Zeremonie ruhig zu halten. Peter hatte den Arm um Tante Lisbeth gelegt, seine Mutter, die sich, wie es sich gehörte, immer wieder mit einem weißen Stofftaschentuch die Tränen abwischte.
An die Beerdigung erinnere ich mich nicht mehr, nur dass sehr viele Trauergäste da waren, halb Bodenmais musste sich versammelt haben, und der Priester sprach von einem reichen, erfüllten und langen Leben. Und wieder dachte ich, die Bodenmais-Oma ist siebenundachtzig Jahre alt geworden, Omi nur siebenundsechzig, vielleicht fehlten ihr die zwanzig Jahre für ein reiches, erfülltes und langes Leben. Aber wer konnte schon wissen, welche Rolle die Anzahl der Jahre für ein erfülltes Leben spielten, wäre Omi wirklich weniger traurig gewesen, wenn sie zwanzig Jahre länger gelebt hätte?
Der Bodenmais-Opa stand zwischen Onkel Karl und meinem Vater, die ihn stützten, und als der Sarg in die Grube gesenkt wurde, war Onkel Hans der einzige Mann, der laut und hemmungslos weinte, und mir fiel auf, dass er nicht mehr so schön aussah wie früher.
Vierzehn
Ich gehöre bestimmt nicht zu den Leuten, die anderen leicht ihr Herz ausschütten, das habe ich noch nie getan, und dass ich Ricki von Marie erzählt habe, war eine Ausnahme, die Reaktion auf ihre Zugewandtheit, die ich möglicherweise zu persönlich genommen habe. Aber ich habe es nun mal getan, ich bin unvorsichtig gewesen, es ist also kein Wunder, dass mich die Folgen meiner Redseligkeit einholen.
Wir stehen in der Küche und bereiten das Abendessen vor, Risotto mit Champignons und Putenstreifen, Jakob hat ein Date mit einer Neuen, die er erst vor ein paar Tagen kennengelernt hat, er macht jedenfalls noch ein ziemliches Geheimnis um sie, und Kevin bereitet sich auf eine Klausur vor, deshalb haben wir, Ricki und ich, das Kochen übernommen. Plötzlich sagt sie, mir geht deine Schwester nicht aus dem Kopf, ich muss ständig an sie denken.
Ich könnte natürlich sagen, na prima, willkommen im Club, aber ich tue es nicht, ich zucke nur mit den Schultern und stelle die Pfanne auf den Herd.
Es ist doch nicht normal, dass ein Mensch einfach verschwindet, fährt sie fort, ich versuche, mir vorzustellen, was es damals für dich bedeutet hat, ich meine, was es mit dir gemacht hat, verstehst du, so etwas geht doch nicht einfach an einem vorüber. Ich würde gern noch weitere Geschichten von der Anne hören, die du damals warst.
Es gibt keine Geschichten von der Anne, die ich damals war, sage ich erschrocken, Marie hat immer dazugehört, wir hätten Zwillinge sein können, mindestens, vielleicht sogar eine einzige Annemarie.
Gut, dann eben Geschichten von Annemarie, sagt Ricki und wirft mir einen Blick zu, der mich verunsichert und wehrlos macht. Das ist doch nur ihre notorische Empathie, denke ich und frage, warum willst du das wissen?
Vor mir tauchen die neugierigen, sensationslüsternen Gesichter der Nachbarn auf, als sie langsam begriffen, was bei uns passiert war, ich sehe wieder, wie Frauen die Köpfe zusammensteckten und verlegen auseinanderfuhren, wenn sie mich sahen, ich höre das Getuschel im Supermarkt, als man Monate später eine Frauenleiche an der Isar gefunden hatte, ein Mordopfer, wie es hieß, bis sich herausstellte, dass die Leiche nicht Marie war, und außerdem hatte es sich auch nicht um Mord gehandelt, sondern um
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