Wer morgens lacht
unvorsichtig, da war, könnte man sagen, eine Katastrophe schon vorprogrammiert.
Auch dafür habe ich mir Geschichten ausgedacht, ziemlich kitschige, das lag wohl daran, dass ich nach ihrem Verschwinden alle Bücher las, die sie in ihrem Zimmer hatte, keine Ahnung, was ich mir davon versprochen habe, denn wirklich spannend waren sie nicht, fast nur Liebesromane und die meisten ziemlich kitschig, du weißt schon, ein Professor in eine Studentin, ein Arzt in eine Krankenschwester, ein Manager in seine junge Sekretärin, und wenn die beiden sich endlich gefunden haben, taucht eine frühere Rivalin auf und spinnt eine fürchterliche Intrige und fügt den Liebenden viel Leid zu, bis sich auf den letzten Seiten alles aufklärt, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Solches Zeug liest jeder mal, sagt Ricki, und ich fahre fort: Eine der Geschichten, die ich mir damals ausdachte, ging so: Marie hatte sich verliebt, wahnsinnig verliebt, und ihr Freund, der Sohn eines Fabrikbesitzers, erwiderte ihre Liebe, wenn auch nicht ganz so wahnsinnig, aber sein Vater verlangte von ihm, eine reiche Erbin zu heiraten, deshalb musste er Marie vor seiner Familie verstecken. Trotzdem hätten sie ein glückliches Leben führen können, aber weil Marie nun mal so war, wie sie war, fand sie sich nicht mit der Situation ab und forderte immer mehr. Er war vielleicht nicht wirklich böse, aber sie trieb ihn so in die Enge, bis er sich nicht mehr anders zu helfen wusste, er brachte sie um und vergrub ihre Leiche im Wald, damit niemand sie finden konnte.
Ich schaue Ricki an, solche Geschichten könnte es doch geben, wenigstens theoretisch, oder etwa nicht?
Ricki lacht laut und höhnisch und ich zucke zusammen, doch dann merke ich, dass es Marie ist, die mich auslacht, natürlich ist es Marie, denn Ricki lächelt und sagt, na ja, vielleicht in Schundromanen, sonst eher nicht.
Ich wende mich ab, um meine Erleichterung zu verbergen, sie nimmt mir meine Geschichten ab, und eigentlich stimmen sie ja auch, alle, jede auf ihre Art, was tun Geschichten letztlich anderes, als einem zu helfen, den Kopf über Wasser zu halten.
Vergiss nicht, dass ich erst fünfzehn war, sage ich lahm, fünfzehn und noch sehr naiv.
Ricki legt über den Tisch hinweg ihre Hand auf meine. Gehört es nicht dazu, sehr naiv zu sein, wenn man fünfzehn ist?
Ich schüttle den Kopf. Aufpassen, Anne, sagt Marie, die Sache mit dem Esel und dem Eis ist noch lange nicht ausgestanden, sag jetzt bloß nicht, dass du naiv warst, dann fange ich so laut an zu lachen, dass sie mich ebenfalls hört, und dann kannst du sehen, wie du dich wieder rausredest. Hau ab, Marie, sage ich in Gedanken, hör endlich auf, dich in mein Leben einzumischen. Und als ich Rickis erstauntes Gesicht sehe, sage ich laut, ich glaube nicht, dass man mit fünfzehn zwangsläufig naiv ist, Marie war mit fünfzehn bestimmt nicht mehr naiv, wenn du sie gekannt hättest, würdest du sofort verstehen, was ich meine.
Vielleicht war sie anders, als du denkst, vielleicht hast du sie ja nicht richtig gekannt, sagt Ricki und zieht ihre Hand wieder zurück. Es klingt platt, ich weiß, aber manchmal kennt man die am wenigsten, mit denen man zusammenlebt, man hat ein bestimmtes Bild von ihnen und sieht sie nur noch durch eine gefärbte Brille, und irgendwann ist man an dieses Bild gewöhnt und merkt überhaupt nicht, dass es sich inzwischen geändert hat. Vielleicht hatte deine Schwester ganz andere Seiten, die dir verborgen geblieben sind.
Ich hebe die Schultern, lasse sie wieder fallen, ja, das mag sein, aber dann ist sie selber schuld, sie hätte mir diese anderen Seiten zeigen sollen, rechtzeitig, als es noch was genutzt hätte, und jetzt ist es zu spät.
Es wird still, und ich denke, was wäre, wenn man die Zeit zurückdrehen könnte? Danach sehne ich mich insgeheim, vielleicht noch mal sieben oder acht Jahre alt zu sein, jedenfalls noch keine fünfzehn.
Hatte Marie eigentlich etwas mit Drogen zu tun?, fragt Ricki.
Weiß ich nicht, sage ich, damit kenne ich mich nicht aus, aber darüber nachgedacht habe ich auch. Als die Kommissarin mit den grauen Haaren mich nach Drogen gefragt hat, habe ich das verneint, die Wahrheit ist aber, dass ich es nicht wusste. Es könnte sein, so launisch, wie sie war. Und jetzt, wo du das sagst, fällt mir ein, dass sie meistens langärmlige T-Shirts anhatte, und im Sommer, wenn es heiß war, trug sie oft eine dünne Jacke oder eine Bluse über dem Top. Aber ich
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