Wer morgens lacht
Wohnung lebt und sich alles kaufen kann, was sie will, du weißt schon, großartige Klamotten und so, und einen Roller wünscht sie sich jetzt bestimmt auch nicht mehr, habe ich gedacht, er bezahlt ihr den Führerschein und kauft ihr einen roten Sportwagen, vielleicht einen Porsche, das war wohl das Tollste, was ich mir vorstellen konnte. Dazu brauchte sie natürlich einen falschen Pass, sonst hätte die Polizei sie ja gefunden, aber wenn man genügend Geld hat, wird ein neuer Pass kein Problem sein, habe ich gedacht. Und dann habe ich mir stundenlang vorgestellt, wie ihre Wohnung eingerichtet ist und was für Sachen sie sich zum Anziehen kauft und welchen Schmuck, vermutlich war ich sogar neidisch auf diesen Luxus.
Und was haben deine Eltern gesagt?
Nichts, gar nichts, darüber wurde bei uns nicht gesprochen, sie haben immer so getan, als könnte Marie jeden Tag zurückkommen, wenigstens mir gegenüber haben sie so getan, als hätte Marie sich bloß entschlossen, woanders zu leben, als wäre sie nur in eine neue Wohnung gezogen oder würde irgendjemanden, den niemand kannte, besuchen. Ich habe mir sogar mal überlegt, dass mein Vater sie heimlich trifft und ihr Geld gibt, von irgendetwas musste sie ja leben, aber als ich ihn darauf ansprach, hat er so erschrocken reagiert, dass ich ihm geglaubt habe. Also habe ich mich wieder auf meine Geschichten verlegt, es blieb mir ja nichts anderes übrig.
Außerdem hatte ich ja noch die Schule, an die habe ich mich geklammert, in der Schule spielte Marie keine Rolle, da wusste keiner Bescheid, und in der Schule ließ Marie mich auch in Ruhe, sie hat die Schule gehasst, also konzentrierte ich mich aufs Lernen, da war es auch kein Wunder, dass ich immer besser wurde.
Ich glaube, damals habe ich gelernt, auszuweichen, Unangenehmes zu verdrängen, nur die Teile zu leben, auf die ich Zugriff hatte, alles andere wollte ich nicht sehen. Ich habe mich selbst reduziert, und manchmal denke ich, ich habe bis heute keinen Weg aus diesem Labyrinth gefunden, damals war es die Schule, heute ist es das Studium. Verstehst du, was ich damit sagen will? Ich bin die Ausnahme, ich bin der Esel, der nicht aufs Eis tanzen geht, egal wie wohl ihm ist. Ich lache, merke aber, wie falsch es sich anhört, und schlucke das Lachen hinunter wie Galle, die einem manchmal aufstößt. Mir ist mal ein Spruch eingefallen, sage ich, ein Spruch, den man als mein Lebensmotto bezeichnen könnte, willst du ihn hören?
Ricki nickt, und ich sage: Glaub ja nicht, dass die Welt so heiter ist, wie du es gern möchtest.
Ricki lacht nicht, sie schaut mich nur lange an, und nach einer Weile fragt sie vorsichtig, hast du nie daran gedacht, dass sie vielleicht tot sein könnte?
Wieder erschrecke ich, weil ich nicht weiß, wie sie das meint, aber da mischt sich Marie ein, stell dich nicht so an, das ist doch nur eine ganz normale Frage. Klar habe ich daran gedacht, sage ich, ich bin ja nicht dumm, aber meinen Eltern gegenüber habe ich das nie ausgesprochen, ich habe mir immer eingeredet, dass ich sie schonen wollte, aber die Wahrheit ist, dass ich feige war, verstehst du, ich habe lieber den Kopf eingezogen und getan, als ginge mich das alles nichts an, das war bequemer.
Ich hatte meine eigene Theorie und an der hielt ich fest, ein Mann, es musste ein Mann im Spiel sein. Irgendwie war ich sicher, dass Marie wegen eines Mannes abgehauen war, sie war viel zu faul, um sich allein durchschlagen zu wollen, dachte ich, und ehrgeizig war sie schon gar nicht, irgendwelche Ziele oder etwas, was man im weitesten Sinn als Lebensplan bezeichnen könnte, habe ich nie von ihr gehört, nie hat sie gesagt, später will ich das und das, wie man es in diesem Alter doch oft tut, ich glaube, sie lebte ohne Zukunft, als hätte sie gewusst, dass es für sie keine Zukunft geben würde.
Deshalb konnte es gar nicht anders sein, es musste einen Mann geben, der versprochen hatte, für sie zu sorgen, sonst wäre sie nicht abgehauen, solch ein Risiko wäre sie nicht eingegangen. Aber dieser Mann war vermutlich einer, den sie uns nicht vorführen konnte, weil sie sich für ihn schämte, oder einer, dem sie uns nicht vorführen konnte, weil sie sich für uns schämte, manchmal hielt ich die eine Möglichkeit für wahrscheinlicher, dann wieder die andere. Und dann dachte ich, wenn man keinen eigenen Plan hat und sich auf andere verlässt, ist man schnell verlassen und fällt nur allzu leicht auf die Nase, und Marie war nun mal leichtsinnig und
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