Wer morgens lacht
abzuschneiden.
Ich will nach Hause fahren, ich will mir alles anschauen, als wäre es neu, vielleicht komme ich ja in der alten Umgebung, in der alles passiert ist, der hinterlistigen Erinnerung eher auf die Schliche als hier in Frankfurt. Es kann nicht alles so gewesen sein, wie ich es mir einbilde, ich kenne mich doch, ich mache mühelos aus einer Mücke einen Elefanten und aus einem Elefanten einen Luftballon, da könnte ich ein Korrektiv gut brauchen, deshalb, und nicht nur deshalb, bin ich auf die Idee mit Ricki gekommen. Ich bin gern mit ihr zusammen, sie hat eine Form von Klarheit und Durchsichtigkeit, die mir guttut, verdammt gut. Also habe ich sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, am Wochenende mit mir zu meinen Eltern zu fahren.
Sie war überrascht, hat aber nach kurzem Überlegen Ja gesagt. Abends habe ich dann meine Mutter angerufen, um sie um ihre Zustimmung zu bitten, aber bitten war gar nicht nötig, sie sagte sofort Ja, natürlich kannst du deine Freundin mitbringen, klar, und ich dachte, sie freut sich, dass ich komme, sie freut sich so sehr, dass ihr alles recht ist. Danke, sagte ich, und sie fragte, eine Medizinstudentin, hast du gesagt? Ricarda, was für ein schöner Name, meinst du, sie würde gern einen Hasenbraten essen?
Die ewigen Hasen, natürlich, ich schnappte nach Luft, brachte es aber nicht übers Herz, sie zu enttäuschen. Bestimmt, Mama, mach ihn mit Schalotten und Rotkraut und mit Knedlich .
Sie lachte, ja, Omis Knedlich, ich glaube, wir haben noch ein paar Haplich Rotkraut im Garten. So fröhlich hatte sie sich schon lange nicht angehört, und als ich auflegte, wusste ich, dass ich auch diesmal widerspruchslos einen Hasenschenkel essen würde, ich würde mich auch diesmal zusammenreißen und kein Wort sagen.
Nun sitzen wir also im Zug, beide am Fenster, wir haben wunderbarerweise ein leeres Abteil gefunden, ich sitze mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, den besseren Platz habe ich natürlich Ricki überlassen, die so gut gelaunt herumalbert, als wären wir zwei Schulmädchen auf einer Klassenfahrt, he, wir beide unterwegs, ist doch mal was anderes als immer nur unser alter Küchentisch. Sie holt zwei kleine Flaschen O-Saft aus ihrer Umhängetasche, klappt die Tischchen auf und legt dann für jede noch einen Schokoriegel und eine Packung Cracker dazu, hier, ein bisschen Reiseproviant, damit wir auf der Fahrt nicht verhungern. Und ich kämpfe gegen das vertraute, nicht beherrschbare Unbehagen an, das sich wie eine kleine Schlange durch meine Eingeweide windet und manchmal ruckartig den Kopf bewegt oder mit dem Schwanzende ausschlägt, um sich bemerkbar zu machen, auf was hast du dich da eingelassen, glaub ja nicht, dass die Welt so heiter ist, wie du es gern hättest, lass dich doch nicht von ihren Grübchen einfangen. Ich ignoriere das unangenehme Gefühl in meinem Inneren und bemühe mich, ein ebenso fröhliches Gesicht zu machen wie Ricki.
Sie reißt ihren Schokoriegel auf, beißt hinein und kaut, dann beugt sie sich vor, in ihrem rechten Mundwinkel klebt noch ein bisschen Schokolade und lässt sie noch schulmädchenhafter aussehen, erzähl mir ein bisschen von deinen Eltern, Anne, sagt sie, ich möchte wissen, worauf ich mich einstellen soll.
Da gibt es nicht viel zu erzählen, sage ich, und die Schlange in mir rollt sich, da es nicht um Marie geht, gemütlich zum Schlafen ein. Früher fand ich sie furchtbar, und heute denke ich, dass sie eigentlich gar nicht so schlimm sind, fange ich an, aber ich komme mit ihnen nicht klar und sie nicht mit mir. Meine Mutter hat mit siebzehn, nach der Realschule, eine Banklehre angefangen und es schließlich bis zur Filialleiterin gebracht, es ist, um die Wahrheit zu sagen, nur eine kleine Filiale, und kein Mensch weiß, warum sie nicht schon längst geschlossen wurde, auch meine Mutter weiß es nicht, aber sie hofft, dass sie noch bis zu ihrer Rente weiterbesteht, sie liebt ihre Arbeit nämlich. Sie ist es auch, die das Geld für die Familie verdient hat, vor allem, nachdem mein Vater seine Stelle bei BMW verloren hatte, da war ich zwölf. Er hat keine neue mehr gefunden, er ging schon auf die Sechzig zu und wurde bald frühverrentet, wie es so schön heißt. Ich habe relativ alte Eltern, meine Mutter war fünfunddreißig, als ich geboren wurde, und mein Vater achtundvierzig.
Er stammt von einem Bauernhof im Bayrischen Wald, den Hof hat sein älterer Bruder geerbt, mein Vater hat Autoschlosser gelernt. Nach seiner Verrentung ist sein
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