Wer nach den Sternen greift
Clarissa nicht antun. Außerdem hatte sie sich auch mit ihrem Leben arrangiert. Zwar wurde sie nicht von einem Mann in den Armen gehalten und geküsst, aber geliebt wurde sie, das wusste sie. Clarissa liebte sie mehr als ihren eigenen Sohn. Ben und James liebten sie. Scully, ach ja, Scully. Er liebte sie auch und wartete vielleicht nur darauf, dass sie ihn ermutigte. Aber Alex fand ihren Lebensinhalt im Krankenhaus und in der Klinik und seltsamerweise auch im Garten, den sie in seiner früheren Pracht wieder auferstehen ließ. Und natürlich schenkten ihre Kinder ihr Glück. Hugh war manchmal ein bisschen eigensinnig, und dann hatte sein Vater auch noch darauf bestanden, dass er jagen lernte. Als Hugh sechs Jahre alt war, hatte Oliver ihn das erste Mal mit auf die Jagd genommen, obwohl Alex sich heftig dagegen gesträubt hatte. Sie wollte nicht, dass ihr Sohn mit Waffen in Berührung kam, außerdem war er noch viel zu klein, um Tiere zu töten. Aber da dies eine der wenigen Gelegenheiten war, zu denen Oliver dem Kind überhaupt Aufmerksamkeit schenkte, hatte Hugh sich natürlich bemüht, seinem Vater zu gefallen.
Philippe begleitete sie, wenn Alex nachmittags den Kindern die Stadt zeigte. Sie war zwar in New York aufgewachsen, aber noch nie auf der Freiheitsstatue gewesen oder mit dem Schiff um Manhattan herumgefahren. Frank freute sich, als Alex ihm sagte, dass sie Philippe gerne das Anwesen in Westbury zeigen würde. Sie fuhren mit dem Wagen dorthin, und Sophie war erleichtert, als Alex und die Kinder für drei Tage nach Long Island aufbrachen.
Den Kindern gefiel es dort. Hugh und Philippe ritten morgens aus, und Alex brachte Lina das Schwimmen bei in dem Pool, den ihre Mutter vor so vielen Jahren hatte anlegen lassen.
»Warum ist eigentlich Philippe nicht unser Daddy?«, fragte Lina eines Abends beim Essen. Ja, warum?
An den langen Sommerabenden wurde es erst um zehn Uhr dunkel, und obwohl Philippe und Alex sich danach sehnten, allein zu sein, ließen sie die Kinder lange aufbleiben und draußen spielen.
Wenn sie dann endlich in ihren Betten lagen, saßen die beiden noch bis weit nach Mitternacht auf der Veranda und unterhielten sich.
Sie achteten darauf, dass ihr Schlafzimmer am anderen Ende des Hauses lag, so dass die Kinder nicht wach werden konnten, wenn Alex nachts vor Ekstase aufschrie, ein Schrei so voller Liebe, Schmerz und Lust, dass sie ihn nicht unterdrücken konnte.
»Ich möchte dich immer in mir behalten und dich nie gehen lassen«, flüsterte Alex in der letzten Nacht, in der sie zusammen waren. »Ich ertrage es nicht, dass du morgen gehst.«
»Ich komme ja vor dem Ende des Sommers zurück. Vor deiner Abreise bin ich wieder hier.«
Sie seufzte. »Ich hatte mein Leben akzeptiert, aber jetzt … jetzt wird nichts wieder so sein, wie es war. Ich werde jeden Tag an dich denken.«
»Nachts hoffentlich auch.« Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Ich hatte das Leben auch akzeptiert. Ich dachte, ich sei glücklich, und jetzt wird es für mich ohne dich an meiner Seite kein Glück mehr geben.«
»Ich kann Oliver nicht verlassen«, sagte Alex. »Ich kann mich nicht scheiden lassen.«
»Ich weiß. Ich verstehe dich auch. Aber wenn ich in England lebte, und wenn du in Frankreich lebtest …«
»Ich kann ja nach Frankreich kommen«, sagte sie. »Nach Paris. Oder du kommst in die Normandie, und ich fahre ab und zu für eine Nacht über den Kanal.«
»Wir wollen uns das nicht antun«, sagte Philippe und zog sie an sich, so dass ihr Kopf an seiner Schulter lag. »Denk nur an die schönen Dinge, an unsere gemeinsame Zeit hier. Und wo immer du bist …« Er sprang aus dem Bett und trat ans Fenster. »Komm her«, forderte er sie auf und zeigte auf den sternenübersäten Himmel. »Schau, dort, das ist der Polarstern.« Er erklärte ihr, wie sie ihn finden konnte. »Schau ihn dir jede Nacht an. Das ist unser Stern. Ich werde ihn auch betrachten. Er ist ein Zeichen unserer Liebe. Wenn du ihn siehst, weißt du, dass ich ihn auch sehe und an dich denke. Solange der Polarstern am Himmel steht, werde ich dich lieben, und daran sollst du denken, wenn du ihn siehst.«
Am nächsten Tag kehrten sie in die Stadt zurück, und um Mitternacht nahm er den Zug nach San Francisco.
Bevor Alex ihn telefonisch erreichen konnte, weil der Zug fünf Tage lang nach San Francisco unterwegs war, rief Clarissa an. Die Leitung war so schlecht, dass Alex sie kaum verstehen konnte.
»Der Herzog liegt im Sterben«, sagte
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