Wer nach den Sternen greift
gekommen?«
Er antwortete nicht, sondern sagte nur: »Wir müssen an die Küste.«
»Aber das dauert doch fast eine Stunde!«
Er nickte. »Du nimmst an einer Operation teil, bei der Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Kindern gerettet werden.«
Sie legte den Schal ab, den sie sich über den Kopf gelegt hatte. Er hatte nicht viel genützt. Sie war klatschnass. Dann schlüpfte sie aus der Regenjacke und warf sie auf den Rücksitz. »So, das ist besser.«
Sie hatte ihn seit über fünf Monaten nicht mehr gesehen. Hitlers Truppen hatten mittlerweile ganz Frankreich besetzt.
»Wie bist du aus Frankreich herausgekommen?«
Philippe spähte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer konnten die Regenmassen kaum bewältigen.
»Hast du das Auto gestohlen?«
Er lachte und warf ihr einen Blick zu. »Gott, so etwas Gutes wie dich habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich war beim Stadthaus, aber dort ist niemand mehr.«
»Nein, wir haben alle hierher aufs Land geholt. Seit August wird London jede Nacht bombardiert.«
»Ich habe einen Auftrag für dich.«
Es war so dunkel, dass Alex Philippes Profil kaum erkennen konnte. Plötzlich hielt er an und wandte sich ihr zu. »Komm her«, sagte er und zog sie an sich. »Ich kann es nicht ertragen, dich so nahe neben mir zu spüren und dich nicht zu berühren und zu küssen.«
Ihre Lippen fanden sich in einem leidenschaftlichen Kuss. Nach einer Weile löste er sich von ihr und fuhr wieder an. »Jetzt geht es mir besser«, erklärte er.
»Ist es so schlimm?«
Er nickte. »Wir wollen so viele Kinder wie möglich in England in Sicherheit bringen.«
Schweigend fuhr er weiter. Sie blickte ihn an. »Und ich soll sie hier unterbringen.« Es war keine Frage. Sie wusste, was er von ihr erwartete.
»Ich dachte, die ersten können ja zunächst einmal im leeren Flügel des Schlosses bleiben. Dort passen mindestens hundert Kinder hinein.«
»Mindestens«, erwiderte sie, wobei sie überlegte, wie sie sie alle satt bekommen sollte. Die medizinische Versorgung war gewährleistet.
»Wie kommen sie hierher?«
»Genauso wie von Dünkirchen, nur im Schutz der Dunkelheit. Wir werden alle Boote und Fischkutter nehmen, die wir kriegen können. Ich habe genügend Männer, die den Kanal wie ihre Westentasche kennen, und wir werden ihnen nachfahren. Du musst die Männer bis zur nächsten Nacht irgendwo unterbringen, wo niemand von ihnen erfährt. Sie können ja erst wieder zurück, wenn es dunkel ist.«
»Ich muss Autos organisieren, aber man bekommt im Moment nicht leicht Benzin.« Ihre Gedanken überschlugen sich.
»Es wird dir schon gelingen. Das weiß ich.«
Ben, James und Clarissa. Scully. Der Pfarrer. Louise. Wo, um alles in der Welt, sollte sie bloß Benzin herbekommen?
»Wie viele Kinder werden deiner Schätzung nach kommen?«
»Ungefähr zwanzig oder dreißig alle drei bis vier Wochen.«
Zwanzig oder dreißig? Der Ostflügel würde schnell voll sein. »Wie erfahre ich es?«
»Wir treffen Vereinbarungen. Ich zeige dir jetzt die Stelle am Strand, wo wir landen wollen. Es sind ein paar Häuser in der Nähe. Manchmal wird eine Schwangere oder eine Frau mit einem Neugeborenen dabei sein, aber hauptsächlich werden es Kinder sein.«
Alex überlegte. »Du musst darauf achten, dass die Kinder Ausweise bei sich haben. Ihre Eltern werden sie nach dem Krieg zurückhaben wollen, und wir müssen die Möglichkeit haben, die Eltern zu finden, wenn es vorbei ist.«
Philippe blickte sie an. »Ja«, sagte er leise, »wenn das alles vorbei ist. Oh, ich bin so froh, dass ich meine Familie nach Kalifornien geschickt habe, bevor es zu spät war.«
»Du weißt es also noch nicht?«
Sein Kopf fuhr herum. »Was?«
»Deine Mutter ist tot. Sie ist einfach auf der Straße zusammengebrochen.«
Philippe trat heftig auf die Bremse. Er schloss die Augen und ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken. Alex glaubte, ein ersticktes Schluchzen zu hören. Aber gleich darauf hatte er sich wieder unter Kontrolle und fuhr weiter. Der Regen hatte nachgelassen, es tröpfelte nur noch, aber dafür lag dicker Nebel über der Straße.
»Du fährst doch heute Nacht nicht mehr zurück, oder?«
Philippe schüttelte den Kopf. »Ich dachte, bis morgen früh kannst du mich vielleicht ertragen.«
»Ich könnte dich in meinem Schlafzimmer verstecken«, erwiderte Alex.
»Das habe ich gehofft.«
»Ich verstehe ja, warum du dich auf deiner Seite des Kanals verstecken musst, aber warum, in aller Welt,
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