Wer nach den Sternen greift
Jahr am achtundzwanzigsten August, am Jahrestag des Tages, an dem ihr Mann Öl gefunden hatte, fuhr sie dorthin. Sydney Hult war dort beerdigt worden, und sie besuchte sein Grab, das Grab des einzigen Mannes, den sie je geliebt hatte.
Sophie stellte fest, dass sie mehr an Frederic in Detroit als an ihr Debüt dachte, bei dem sie mit vier anderen jungen Mädchen in die Gesellschaft eingeführt werden sollte. Der Ball war zwar nicht so angesehen wie die Debüts der Töchter aus den alteingesessenen Familien in New York, aber er sollte die teuerste Veranstaltung des Jahres 1899 werden und war wochenlang das einzige Gesprächsthema. Die Väter sparten nicht an ihren Töchtern, weil mit dem Debüt formell verkündet wurde, dass diese jungen Frauen im heiratsfähigen Alter waren.
Im Allgemeinen wurden zu dem Ball nicht nur junge Männer aus New York, sondern auch aus Boston und Philadelphia eingeladen, und die jungen Frauen wurden ihnen sozusagen auf dem Silbertablett präsentiert. Sie schüttelten unzählige Hände, lächelten, bis das Lächeln ihnen im Gesicht gefror, und schritten dann über einen roten Teppich in einem Meer von Blumen (Orchideen oder Rosen, und um diese Jahreszeit auch Kamelien aus Carolina, die allerdings nur Sophie gewählt hatte) in den Saal.
Sophie stand noch in der Empfangsreihe und hatte schon so viele Hände geschüttelt, dass sie kaum noch sah, wen sie vor sich hatte. Auf einmal stand Colin von Rhysdale vor ihr. Er drückte ihr fest die Hand und sagte: »Reservieren Sie für mich einen Tanz?«
Annie, die neben ihrer Tochter stand, verzog keine Miene.
Den dritten Tanz tanzte Sophie mit Colin, und er sagte ihr, er habe seit letztem Sommer ununterbrochen an sie gedacht. Sophie schwieg. Sie tanzte mit ihm und blickte über seine Schulter durch den Ballsaal. Sie waren fast gleich groß. Er bedeutete ihr nichts mehr.
»Ich weiß«, sagte er leise, »Sie halten bestimmt nichts mehr von mir, weil ich nicht da war, als Sie letzten September aus dem Westen gekommen sind.«
Sie blickte ihm nicht einmal in die Augen.
»Ich kann Ihnen keinen Vorwurf machen«, fuhr er fort, »aber ich bin erst vor zwei Tagen aus Europa zurückgekommen. Treffen Sie sich morgen mit mir, Sophie. Ich will Ihnen alles erklären.«
»Ich bin so gut wie verlobt«, sagte sie, obwohl sie es noch nicht einmal ihren Eltern gesagt hatte.
Einen Moment lang kam er aus dem Takt, fing sich jedoch sofort wieder. »So gut wie?«
Sie nickte, wobei sie ihn endlich anschaute.
»Das bedeutet, es hat noch keine öffentliche Ankündigung gegeben, oder?«
Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: »Also habe ich noch eine Chance. O Sophie, meine Liebe, bitte, treffen Sie sich morgen mit mir, damit ich erklären kann, was ich getan habe.«
Die Musik endete. Sophie wandte sich von Colin ab und blickte den jungen Mann an, der den nächsten Tanz für sich beanspruchte. Sie lächelte ihn an, obwohl ihr überhaupt nicht danach zumute war. Als die Musik wieder einsetzte, wirbelte sie in seinen Armen davon, ohne Colin eine Antwort zu geben. Er war über ihre Reaktion keineswegs erstaunt. Er hatte sie sogar erwartet, schließlich hatte seine Mutter genau das bezweckt.
Als Sophie auf ihre Tanzkarte blickte, stellte sie fest, dass Colin sich für das Dinner eingetragen hatte. Kurzentschlossen ging sie sich die Nase pudern und strich seinen Namen wieder aus. So leicht würde sie es ihm nicht machen. Er konnte sich nicht einfach wieder in ihr Leben schleichen, wo sie gerade die Liebe gefunden hatte.
Ihren nächsten Tanzpartner kannte sie seit Jahren, es war der Bruder einer ihrer Schulfreundinnen. »Hast du schon jemanden für das Essen?«, fragte sie ihn.
Er schüttelte den Kopf.
»Tust du mir dann einen Gefallen, mein lieber Trenton? Willst du mein Tischherr sein? Ich habe noch niemanden.«
»Das glaube ich nicht!« Er lachte. »Die Hälfte aller Männer hier würden alles dafür geben, um beim Essen neben dir zu sitzen.«
So ganz stimmte das allerdings nicht, denn vielen jungen Männern war Sophie viel zu ernsthaft, und da die meisten nicht hinter ihrem Geld her waren, weil sie selbst reich genug waren (beziehungsweise ihre Väter), hielten sie sich lieber an die jungen Frauen, mit denen sie lachen konnten und die nicht so gebildet waren wie Sophie.
Als Colin sie zum Dinner abholen wollte, tat sie ganz verwirrt und zeigte ihm ihre Tanzkarte, auf der er nur zum dritten Tanz eingetragen war.
»Ich mache Ihnen morgen um vierzehn Uhr meine
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