Wer nach den Sternen greift
wundervoller Antiquitäten. Es ist eines der berühmtesten Schlösser in England, weißt du?«
Das war Alex völlig gleichgültig.
Die Livree des Mannes, der sie begrüßte, sah aus wie im Zirkus, dachte sie. Ob er wohl über sich selbst lachte, wenn er sich im Spiegel betrachtete? Wie schaffte er es nur, ständig so ein ernstes Gesicht zu machen? Er trug weiße Handschuhe und eine Art hohen Hut. Er begrüßte die Gäste in der Kutsche vor ihnen, nannte sie beim Namen und sagte ihren Bediensteten, in welchem Zimmer sie untergebracht waren. Alle schienen zu wissen, wohin sie gehen mussten.
Da Sophie und Alex in London im Hotel abgestiegen waren, hatten sie keine eigenen Dienstboten bei sich, was den Mann, der sie begrüßte, zu verwirren schien. Einen Moment lang krampfte sich Sophies Magen zusammen, weil sie sich nur zu gut an all die Jahre erinnern konnte, in denen sie nicht dazugehört und nicht gewusst hatte, wie sie sich verhalten sollte. Der Mann zog die Augenbrauen hoch, als sie sagte, sie hätten kein Zimmermädchen dabei, und hastig fügte sie hinzu, dass sie aus Amerika kämen, als ob Zofen in diesem barbarischen Land unbekannt seien.
Er nickte und winkte einer jungen Frau, die in einer Reihe wartend mit anderen hinter ihm stand. Er sagte ihr, in welchen Zimmern Sophie und Alex untergebracht waren, und bat sie, sie dorthin zu begleiten. »Angela ist Ihr Mädchen für das Wochenende«, erklärte er. »Cocktails um sieben.«
Jetzt war es gerade erst vier Uhr, und Alex fragte sich, was sie wohl so lange machen sollten.
16
M it dem Bau von Schloss Carlisle war 1709 begonnen worden, aber fertiggestellt wurden die Gebäude erst achtzehn Jahre später. In den zwei Jahrhunderten seines Bestehens waren zahlreiche Staatsoberhäupter dort empfangen worden, unter anderem auch Benjamin Franklin und Thomas Jefferson, und als Queen Victoria regierte, war es an den Wochenenden der Lieblingsaufenthalt des Prince of Wales gewesen.
Das Schloss verfügte nur über zwei Badezimmer, und lediglich in den Gemächern der Familie gab es elektrisches Licht, die übrigen Räume wurden mit Kerzen oder Öllampen beleuchtet. Der gegenwärtige Herzog verbrachte nur wenig Zeit im Schloss. Er überließ es seiner Frau, sich darum zu kümmern, während er lieber in Europa herumreiste, in Monte Carlo Bakkarat spielte, Moorhühner in Schottland jagte und die Tanzpaläste von Paris erkundete. Wenn der König jedoch den Wunsch äußerte, das Schloss übers Wochenende zum Bridgespielen oder zur Wachteljagd zu besuchen, oder wenn seine Frau ihn bat, kam er sofort nach Hause.
Der Herzog und die Herzogin führten eine recht bürgerliche Ehe, und das erwarteten sie auch von ihrem Sohn Oliver, der sich selten zu Hause aufhielt. Er zog seine kleine Wohnung in London und die Gesellschaft von Rebecca Palmerton, einer älteren Frau mit zwei halb erwachsenen Söhnen und einem reichen Fabrikanten als Gatten, vor. Der siebenundzwanzigjährige Oliver glaubte Rebecca zu lieben. Mrs. Palmerton, eine der bekanntesten Schönheiten der Stadt, war zwar nicht von Adel, führte aber den charmantesten Salon in London, in dem man Schriftsteller, Drehbuchautoren, Politiker und Intellektuelle ersten Ranges traf. Bei den Palmertons gab es keine langweiligen Gespräche.
Sie und Oliver hatten sich vor drei Jahren kennengelernt, und es war für beide Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie blickten sich auf einer vollen Tanzfläche zufällig über die Menge hinweg an, und Minuten später tanzten sie bereits miteinander. Seitdem waren sie nur selten getrennt gewesen. Jeder wusste von ihrer Beziehung, auch ihr Mann, der sogar so rücksichtsvoll war, Bescheid zu geben, bevor er von seinen Mühlen im Norden des Landes nach Hause kam. Er besaß die größten Wollmühlen in diesem Teil des Landes, die ihn, seinen Vater und Großvater zu den reichsten Männern im Land gemacht hatten.
In der britischen Oberschicht heiratete man nicht aus Liebe, und geheime Liebschaften waren an der Tagesordnung. Sie hatten nichts mit der Ehe zu tun, die dazu diente, Kinder zu zeugen, die den Namen weitertrugen. Wenn aus solchen Verbindungen Liebe entstand, so war dies eine angenehme Überraschung, die man jedoch eigentlich nicht erwartete.
Einen Monat zuvor hatten der Herzog und die Herzogin ihrem Sohn angekündigt, dass er bald heiraten müsse. Oliver wusste, dass sie recht hatten, aber er rebellierte innerlich gegen den Gedanken.
»Ich werde auch nicht jünger, und es wird langsam
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