Wer nach den Sternen greift
Reginald an Oliver und sagte: »Ihre Eltern erwarten Sie in ihrem Salon, Euer Gnaden. Das Essen wird um eins serviert.«
Oliver führte sie zu den Privaträumen, die Alex während ihres Wochenendbesuchs im letzten Jahr nur einmal kurz gesehen hatte. Entzückt blickte sie sich um.
»Das ist der Prunksaal«, verkündete er.
Es war leicht zu erkennen, warum er so genannt wurde. Die Decke des großen, runden Saals war über fünfzehn Meter hoch. In dem schwarz-weißen Marmorboden spiegelten sich die vergoldeten Bänke, die auf jeder Seite des riesigen Perserteppichs in Rot und Gold standen. Die Wände waren cremefarben gestrichen, so dass auch sie goldfarben schimmerten.
Reichverzierte griechische Säulen trugen den Marmorgang, wo die Büsten früherer Herzöge und Herzoginnen standen. Hoch oben drang Sonnenschein durch die Fenster. Selbst die prächtigsten Räume in Newport verblassten dagegen.
Dann gab es drei Salons: Einen grünen mit goldenen Damastwänden, an denen Porträts aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert hingen. Er enthielt Queen-Anne-Möbel, die ebenfalls mit goldenem Damast bezogen waren, und einen fadenscheinigen Teppich, der früher einmal prachtvoll gewesen sein musste. Es sah so aus, als würde der Raum nie benutzt.
Im roten Salon waren die Wände mit rotem Damast bespannt, und Sofa und Sessel passten farblich dazu. Die Möbel sahen äußerst formell und unbequem aus, und auch hier war der Teppich fadenscheinig. Der Kronleuchter in der Mitte des Zimmers hing von einer sieben Meter hohen Decke herab.
Der dritte Raum wurde nicht als Salon, sondern als Schreibzimmer bezeichnet, und die einzigen Möbelstücke darin waren ein schwarzlackierter Schreibtisch und vier mit goldenem Damast bezogene Stühle. An den Wänden hingen Wandbehänge. Dann kamen sie durch ein Zimmer mit einem Esstisch, an dem mit Leichtigkeit vierundzwanzig Personen Platz fanden, und genauso viele Stühle standen auch um den langen Tisch. Auch dieser Raum war enorm hoch.
»Wir benutzen dieses Zimmer nur noch an Weihnachten und wenn der König und die Königin das Wochenende hier verbringen.«
Sie betraten den Westflügel, in dem die Familie wohnte, durchquerten eine lange Eingangshalle und gingen durch eine prächtig geschnitzte Tür, die anscheinend nur mit Mühe zu öffnen war. Dort saßen in Queen-Anne-Lehnsesseln der Herzog und die Herzogin. Der Herzog erhob sich, als Oliver und Alex eintraten, während die Herzogin sitzen blieb. Sie musste als junges Mädchen hübsch gewesen sein, war jetzt jedoch blass und unscheinbar, obwohl sie den typischen Pfirsichteint der Engländerinnen hatte. Ihre Augen waren von einem wässerigen Blau wie bei einer alten Frau, obwohl sie kaum älter als fünfzig sein konnte, im Alter irgendwo zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter, dachte Alex.
Plötzlich bekam Alex Angst, dass ihre Schwiegermutter sie ebenso wie ihre eigene Mutter dominieren würde, dass sie ihr vorschreiben würde, wie sie sich in dieser Gesellschaft, in die sie geheiratet hatte, bewegen musste, wie sie sich anziehen musste und mit wem sie befreundet sein durfte. Alex straffte den Rücken. Das würde sie nicht zulassen. Sie würde lieber versuchen, sich die Frau zur Verbündeten zu machen, und wenn es ihre ganze Geduld erforderte. Zunächst einmal würde sie sie wegen ihrer Schwangerschaft um Rat fragen, schließlich trug sie das Enkelkind der Herzogin. Das würde doch bestimmt möglich sein. Sie hatte keine Ahnung von Geburt, Schwangerschaft oder Kindern. Dass sie schwanger war, würde Oliver seinen Eltern ja bestimmt als Erstes sagen.
Stattdessen fragte er jedoch, wo Scully sei. Sein Vater antwortete: »Er ist oben im Norden, um sich ein Pferd anzuschauen, auf das du mich aufmerksam gemacht hast.«
Oliver nickte.
»Ich habe die Räume oben, direkt über uns, für euch vorbereiten lassen«, sagte die Herzogin. Alex fand, sie hatte eine schöne Stimme. »Ich hoffe, die Einrichtung gefällt dir«, fuhr sie an Alex gewandt fort. »Ich kannte natürlich deinen Geschmack nicht. Die Räume sind seit Jahren nicht benutzt worden, aber ich habe sie den ganzen August über lüften und ein wenig renovieren lassen. Hoffentlich fühlst du dich wohl.«
»Ja, ganz bestimmt«, erwiderte Alex.
Sie war noch nie zuvor in den Privaträumen der Familie gewesen. Früher einmal war die Einrichtung sicher elegant gewesen, aber jetzt war alles schäbig und verschlissen. Durch die hohen Fenster blickte man auf weite Rasenflächen
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