Wer nicht küsst, der nicht gewinnt: Roman (German Edition)
aber nirgendwo entdecken.
»Wer hat denn diesen Kuchen hier gebacken?« Ich fuhr zusammen, als Viviennes unverwechselbare Stimme wie eine Peitsche durch die Luft sauste. »Da könnte man ja auch an einer verdammten Schuhsohle nagen.«
Schwungvoll drehte sie sich mit ihrem Rollstuhl herum, und ich unterdrückte einen Aufschrei. Bei einer umfangreichen plastischen Chirurgie war offensichtlich einiges schiefgegangen. Das Gesicht unter der Wolke unnatürlich roter Locken war geschwollen und deformiert, und dick mit Make-up zugekleistert. Sie sah aus wie eine Horrorpuppe, die langsam vor sich hin schmolz.
»Du weißt doch genau, dass ich ihn gebacken habe«, sagte eine matte Stimme.
Viviennes Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. »Er schmeckt grauenvoll, Sasha. Außerdem weißt du doch, dass ich Rosinen nicht vertrage.«
»Das höre ich zum ersten Mal.«
»Beckys Käsekuchen ist um Längen besser. Und dabei ist die noch nicht einmal Köchin.«
Becky war auch da?
Ich beobachtete mein zukünftiges Selbst und hoffte, es würde Vivienne jetzt den Marsch blasen.
Stattdessen wirkte es gelangweilt, hockte auf der Kante eines glänzenden Ledersessels, die Beine übereinandergeschlagen, und wackelte mit dem Fuß. Ein Pantoffel baumelte herab.
Ich war in Pantoffeln gekommen?
»Als ich ihn das letzte Mal gebacken habe, mochtest du ihn aber«, sagte mein zukünftiges Selbst und pulte sich mit dem Finger etwas aus den Zähnen. O Gott, meine Augenbrauen mussten dringend gezupft werden, und an meinen Wangen waren so viele Äderchen geplatzt, dass es wie der Netzplan der Londoner Untergrundbahn aussah. In den Spiegel schaute ich offenbar nicht mehr oft.
»Ich muss mal zum Klo«, tönte Vivienne.
»Herrgott, Viv, wie oft denn noch?«
»Hau ab, Roger«, schnarrte Vivienne und schwang sich herum. »Wer hat dich überhaupt eingeladen? Wir sind doch schon seit zehn Jahren geschieden.«
»Und es werden immer mehr«, flüsterte er einer glamourösen Rothaarigen zu, die ziemlich genauso aussah, wie Vivienne in ihren Zwanzigern ausgesehen haben musste.
»Sasha kann mir helfen. Sasha!«
»Wo ist dein Stock?«, fragte mein zukünftiges Ich müde. Vivienne stand auf und merkte gar nicht, dass die Knopfleiste an ihrem Kleid offen stand, der Stoff auseinanderklaffte und den Blick auf ihre Brüste freigab.
»Ich hasse den Stock«, sagte Vivienne und winkte ab. »Das ist zu Beginn einer neuen Beziehung so demütigend.« Ihr Blick glitt zu einem silberhaarigen Gentleman hinüber, und sie lächelte gütig. Warum half der ihr denn nicht aufs Klo?
»Pete!«, bellte mein zukünftiges Selbst und strich sich die Haare zurück.
Ich zuckte zusammen. Meine Gesamterscheinung war so billig. Ich schaute mich um und wunderte mich, dass ich Pete bislang noch gar nicht entdeckt hatte. Er hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und redete mit seinem Bruder Bob, der braungebrannt war und sich auch sonst gut gehalten hatte. Bei ihnen saß eine Frau, die mir bekannt vorkam. Als sie den Kopf zurückwarf und lachte, dass ein paar Zahnfüllungen sichtbar wurden, erkannte ich Becky Carmichael. Sie schien überhaupt nicht gealtert in ihrer hautengen Jeans und dem glänzenden, fließenden Oberteil, das die Ergebnisse einer Brust- OP betonte.
»Pete!«, brüllte ich jetzt lauter, und er sprang auf.
»Komme schon«, rief er und zwinkerte Becky zu. Die bleckte ihre Zähne.
»Fang sie ein, Cowboy«, knurrte sie.
Er trug ein grell gemustertes Hemd und eine Hose aus einem glänzenden Material. Sein Haar war anders – viel kürzer und hochgegelt. Er sah aus wie ein zu alt geratenes Mitglied einer Boygroup.
Als er sich meinem zukünftigen Selbst näherte, schien sein Schritt an Dynamik zu verlieren, und sein Lächeln erlosch. Mit einem Mal wirkte er deprimiert, und sogar seine Wangen schienen zu hängen. Die Linien um seinen Mund herum waren tiefer geworden. »Du solltest den Rollator nehmen, den Sasha dir gekauft hat«, sagte er zu Vivienne in einem ermunternden Tonfall und rieb sich die Hände. »Du brauchst doch gar nicht die ganze Zeit im Rollstuhl zu sitzen.«
»Mein Schatz, wenn Sasha mich nicht über den Haufen gefahren hätte, müsste ich überhaupt nicht im Rollstuhl sitzen«, sagte sie, und ich schreckte auf.
»Ich habe dich nicht über den Haufen gefahren.« Mein zukünftiges Selbst stützte die Hände in die ausladenden Hüften. »Wenn du mir nicht in den Weg gesprungen wärst, als ich deinen Rasen gemäht habe, wäre das alles nicht
Weitere Kostenlose Bücher