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Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)

Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)

Titel: Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noelle Hancock
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eine ganze »Amazing Grace«- CD war, auf der verschiedene Fassungen mit jeweils anderen Musikinstrumenten eingespielt waren. »Amazing Grace« auf dem Klavier, auf der Geige, auf der Harfe, und so weiter, in einer einzigen Endlosschleife. Das war bis jetzt der gruseligste Teil meines Tages.
    Ich nahm eine Broschüre mit dem Titel Den Tod verarbeiten von dem hübschen Schreibtisch.
    »Terry, bist du da oben?«, rief eine Stimme von unten, gefolgt vom Geräusch nahender Schritte auf der Treppe. »Ich fahr mal schnell rüber ins Krematorium und … oh, Entschuldigung.« Ein junger Mann mit leicht verstrubbelten braunen Haaren kam ins Zimmer gelaufen, blieb aber jäh stehen, als er mich sah. Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd wie Terry, aber weder Pullunder noch Schlips.
    »Noelle, das ist mein Praktikant«, stellte Terry vor. »Lucas, diese junge Dame wird uns diese Woche helfen, um ihre Furcht vor dem Tod zu besiegen.«
    »Cool.« Er grinste mich dümmlich an und schob sich seine Sechzigerjahre-Brille auf der Nase nach oben. »Hey, ich fahr eine Leiche zum Krematorium. Möchten Sie mitkommen?«
    Ich mochte nicht, aber im Grunde war ich ja genau dafür hergekommen. Also sah ich Terry an, und er winkte uns hinaus. »Viel Spaß, ihr zwei!«
    Lucas führte mich durch die Hintertür zu einer Garage mit sechs Stellplätzen, die mit Limousinen und Leichenwagen in Schwarz und Grautönen vollgestellt war. Lucas drückte sich an ihnen vorbei zur Kühlung, die so hoch war wie ein normaler Kühlschrank, aber etwas über zwei Meter tief. Er fasste die Klinke der Stahltür, dann hielt er inne und sah mich unsicher an.
    »Sie werden jetzt aber nicht ohnmächtig oder so was, oder?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich nervös. In meinem Bemühen, mich nicht als gänzlichen Anfänger zu outen, fügte ich hinzu: »Ich war schon auf zwei Beerdigungen mit offener Aufbahrung.«
    Er nickte nachdenklich, als wäre er mit dieser Auskunft zufrieden, und machte die Tür der Kühlung auf. Ich erstarrte und hatte keine Ahnung, worauf ich mich eigentlich gefasst machen sollte. Lucas zog eine Leiche auf einer Bahre heraus.
    »Darf ich vorstellen: Mr. Danbury.«
    Ich atmete aus, und meine Eingeweide entkrampften sich. Die Leiche war mit einem Laken bedeckt, nur die Füße guckten unten heraus. Ihre Farbe war eigentlich erstaunlich normal. Eher reifer Pfirsich als das klischeehafte Leichengrau, mit dem ich gerechnet hatte. Lucas griff unter das Laken und hob die Finger des Mannes hoch.
    »Sehen Sie, wie sie sich schon violett verfärben? Das ist der beginnende Verwesungsprozess.«
    Ich hatte ein komisches Gefühl im Magen, als ich die marmorierten Fingerspitzen des Toten beäugte. Zu meiner Erleichterung nahm Lucas das Laken nicht ganz ab, sondern rollte Mr. Danbury zu einem Van, auf dem seitlich das Logo des Bestattungsinstituts prangte. Lucas war nur 1,70 Meter groß und eher schmal gebaut, aber er verfrachtete die Bahre problemlos in den Van.
    Bevor ich auf den Beifahrersitz kletterte, hob ich eine Clip-Krawatte hoch, die jemand hatte liegen lassen. »Ist das Ihre?«
    »Schuldig«, sagte Lucas fröhlich. Er nahm den Schlips und warf ihn aufs Armaturenbrett. »Den trage ich, wenn ich eine Leiche vom Krankenhaus oder einem Privathaushalt abhole. Terry sagt, das sieht seriöser aus.« Bis ich Lucas’ schleppenden Akzent hörte, war mir nicht bewusst gewesen, dass Leute aus den ländlichen Gegenden von Ohio eine Art Südstaatenakzent sprechen.
    Er ließ ein Auto vorbei und lenkte den Van dann langsam aus dem Hof auf die zweispurige Straße. Rechts und links glitten langsam und hypnotisierend die Maisfelder an uns vorbei. An einer Stelle hörte die Bepflanzung auf, und ich wurde aus meinen Träumereien gerissen, als ich zwei kleine Jungs mit schwarzen Westen, Hosen und Strohhüten über ein Feld rennen sah. Sie versuchten lachend, mit einer einspännigen Pferdekutsche Schritt zu halten, die über den Pfad ratterte.
    »Was ist das denn?« Ich zeigte aus dem Fenster.
    Lucas blickte kurz hinüber. »Amish. In diesem Staat leben die meisten von ihnen. Anständige Leute. Aber wenn sie einem mit ihren Pferdekutschen die Straße versperren, könnte man sich regelmäßig schwarzärgern.«
    »Wollten sie schon immer Leichenbestatter werden?«
    »Schon immer!«, antwortete Lucas stolz. »Als ich klein war, hab ich immer die Barbie von meiner Schwester in Kartons im Garten vergraben. Was sind Sie denn von Beruf?«
    »Ich bin freiberufliche

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