Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
Enttäuschung loszulassen. Ich hatte keine Lust mehr, mich in meinem Unglück zu suhlen. Es gibt genug echte Dramen im Leben, über die man sich aufregen kann. Also atmete ich aus, ließ die Enttäuschung über meine Zunge fließen und aus meinem Körper verschwinden. Und ich war überrascht, wie leicht sie sich in Luft auflöste. Was blieb, war nicht das schwindelerregende Hochgefühl von vorhin, sondern etwas Reiferes – eine tiefe, wunderbare Zufriedenheit, die mir bis ins Mark ging. Ich begriff auch, worin sich die Angst vor diesem Auftritt von all meinen anderen Ängsten unterschied. Skydiving, einen Kampfflieger steuern, Käfigtauchen – das waren alles Dinge, die ich mir nie gewünscht hatte. Aber eine Menschenmenge fünf Minuten am Stück zum Lachen bringen, das hatte ich mir sehr wohl gewünscht, nur hatte ich nie geglaubt, dass ich es könnte.
In dieser Nacht lag ich im Bett, grinste in die Dunkelheit und ließ diese fünf Minuten immer wieder vor meinem geistigen Auge ablaufen. Ich blieb wach bis fünf Uhr morgens – aber nicht wegen meiner Schlaflosigkeit, sondern weil ich nicht wollte, dass diese Nacht jemals zu Ende ging.
14. K APITEL
Ein Großteil der Angst rührt einfach
vom Nichtwissen her. Wir wissen nicht,
was eine neue Situation so alles mit sich
bringt. Wir wissen nicht, ob wir damit
klarkommen werden. Je eher wir lernen,
was sich dahinter verbirgt, umso eher
können wir unsere Angst besiegen.
Eleanor Roosevelt
M ein ganzes Leben lang hatte ich mir Sorgen über den Tod gemacht. Als Kind hatte ich Angst, dass man mich im Schlaf ermorden könnte. Ich hatte genügend Folgen von Unsolved Mysteries gesehen – einer Serie über ungelöste Mordfälle –, um zu wissen, dass die Welt voller Menschen war, die mich umbringen wollten. Und welche Zeit wäre besser geeignet, jemanden umzubringen, als die Nacht, wenn das Opfer schläft und der Mörder den Überraschungseffekt auf seiner Seite hat? Also entwickelte ich ein Ritual, das ich jeden Abend vorm Schlafengehen praktizierte: Ich überprüfte, ob die Fenster gut verschlossen waren, und sah im Schrank nach, um mich zu vergewissern, dass sich darin keine Mörder verbargen. In den Wäschekorb warf ich auch noch einen Blick, denn der Kleiderschrank war als Versteck ja fast schon ein bisschen zu naheliegend. Freilich, wer klein genug gewesen wäre, sich in einem Wäschekorb zu verstecken, hätte höchstwahrscheinlich auch keine große Bedrohung dargestellt – aber wenn man die Überraschung auf seiner Seite hat, ist alles möglich.
Noch als Erwachsene stellte ich mir oft einen Tod unter außergewöhnlichen Umständen vor. Ich könnte in einem Fahrstuhl stehen, wenn ein Erdbeben einsetzte und die Kabel rissen, und dann würde ich haltlos bis in den Keller stürzen. Oder ich würde auf dem Rücken im Meer treiben und plötzlich merken, wie es an meinem Arm zupfte. Wenn ich mich dann umdrehte, würde ich nichts sehen – nur noch den Hai, der sich aus dem Wasser schob, um mir den Rest zu geben. Es würde auf jeden Fall genug Zeit bleiben, um das Grauen des Geschehnisses zu erleben, aber nicht genug Zeit, um mich zu verabschieden oder jemanden zu bitten, dass er meinen Vibrator entsorgte, damit meine Eltern ihn nicht beim Ausräumen meiner Wohnung fanden.
Meine Angst betraf nicht das Leben nach dem Tod, sondern den Tod selbst. Alle Ängste gehen zurück auf die Angst vorm Tod, erklärte mir Dr. Bob. »Unser stärkster Instinkt ist der Überlebensinstinkt. Die Evolution hat unsere Ängste so programmiert, dass sie uns beim Überleben helfen.« Also beschloss ich, dass ich mich nicht gebührend mit meiner Angst auseinandergesetzt hätte, wenn ich mich meiner Angst vor dem Tod nicht auch noch stellte. Die Idee, in einem Bestattungsinstitut zu arbeiten, stammte von Dr. Bob.
»Es kommt mir so vor, als hätten Sie sich mit jedem der Todesszenarios, die Sie sich immer ausgemalt haben, bereits einmal auseinandergesetzt«, meinte er. »Sie sind mit Haien geschwommen und aus Flugzeugen gesprungen. Vielleicht müssten sie mal ein paar toten Menschen ins Auge sehen, um auszuprobieren, wie sich das anfühlt.«
Er hatte mir vorgeschlagen, dieser Angst einen etwas längeren Zeitraum, vielleicht mehrere Tage, zu geben, statt mich nur einen Tag lang damit auseinanderzusetzen, wie es bei meinen bisherigen Herausforderungen fast immer der Fall gewesen war. Auf diese Art konnte ich mich nicht kurzfristig hochputschen und die Sache dann schnell hinter mich bringen,
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